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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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wieder flüssig brauner DünnschiSS.
Bierflaschenkinder unterwegs
    Es war ein Abend in einer Großstadt. Ich hielt mich wieder mal in einer graffitiverzierten Betonhure auf. So eine Stadt wie Dortmund oder Hannover war das, also Unbehaglichkeit hat hier schon Tradition. Da lag eine Ruhe über der grausam gräulich schimmernden Glitzerwelt, die irgendwie unheimlich war. So eine Ruhe, diese Ruhe, die in Hera Lind-Büchern eine Rolle zu spielen scheint, so eine, die so fordernd ist, so auf Gleichschaltung aller Gefühle bedacht. So eine Ruhe, nach der nur Stürme kommen können. Denn die aggressivsten Stürme gucken ja immer erst, wo denn die leiseste Ruhe ist. Unsere Welt ist voller Extreme. Und unser Land erstmal. Legt eure Ohren auf den Boden, auf den Asphalt, auf die Wiese, auf die Skateboardrampe und ihr könnt es hören, dieses Gluckern, das ganz tief vom Erdmittelpunkt herrührt. Es gluckert, es pocht, es randaliert da drin.
    Ich summe ein Lied und es war "Paradise City" von Guns'n'Roses. "... I want you please take me home ..." Bringt mich doch irgendwer nach Hause, in dieser Stadt, die tut, als sei sie ein Paradies, aber in Wirklichkeit ist das alles nur Deko und aufgemalt, und die Mädchen sind gar nicht so schön, weil sie immer nur Milch und Sekt trinken und das macht auf Dauer schwer dumm. Nein, diese Stadt ist voller Waffen und Blumen, die sich ineinander winden, sich verschnörkeln und in sich eine ganz neue Ästhetik beheimaten.
    Ich wartete an einer S-Bahn-Haltestelle und hatte wieder Lust auf dieses Indianerding, also ohnehin schon voller Feuerwasser zu sein und dann den Kopf auf die Schienen zu legen und das Ankommen des großen Stahlrosses in meiner bekannt pathetischen Art anzukündigen. "Linie 7 kommt in drei Minuten", hätte ich dann gerne zu den Leuten, die mit mir hier warteten, gesagt, meinen Federschmuck sortiert und dann wäre ich einfach weitergeritten zur nächsten Bierbude, mit dem Wissen, irgendwas richtig gemacht zu haben. Dann würde ich was kaufen, was meinen Großstadtrausch unterstützen würde. Aber heute gibt es ja überall so Schilder, die meine indianischen Schienenlesekenntnisse überflüssig machen und sogar verlachen. Da steht in digital, wann die nächste Bahn kommt und wohin sie fährt. Für meine Indianerseele ist das überhaupt nicht wichtig, wohin die Dinger fahren, Hauptsache, ich kann irgendwo raus, wo ein Kuss oder ein Bett oder ein Bier oder sonst was Angenehmes auf mich wartet.
    Ich höre es poltern, der Zug fährt ein. Ich glaube, einige meiner Mitwartenden denken an Selbstmord, ich tue es auch kurz. Also hier an so einem Ort wie einem S-Bahnsteig ist man ja immer nur drei Schritte entfernt davon, um sich zu einer handlichen Portion Gulasch umgestalten zu lassen. Drei Schritte und irgendein Leben hört sofort auf, irgendein Herz hört augenblicklich mit dem Schlagen auf, während sich Adern öffnen und Blutkreisläufe preisgeben. Darüber denken die Leute nach, ihre Gesichter sprechen teilweise deutlicher als ihre Worte. Ich bin angenehm betrunken und will ins Hotel. Ich höre es poltern, der Zug fährt ein. Stahl auf Stahl bremst das Teil. Ein entsprechendes Geräusch pfeift durch den kleinen Bahnhof. Tür auf, ich steige ein. Menschenauflauf. Warum nicht mal Menschenauflauf?
    Ich setze mich auf einen freien Platz zwischen eine Pelz bemantelte, altersmäßig schwer einzuschätzende Teilzeitnutte und einen Bauarbeiter, der mitten in der Nacht noch in voller Baustellenmontur, inklusive gelbem Helm, unterwegs ist. Sympathisch und schlau - die Herren vom Bau. Der Mann sieht müde aus.
    Ein junger Mann und eine etwas jüngere Frau sitzen mir gegenüber in der S-Bahn. Beide wirken etwas nervös, irgendwie pflegebedürftig, wie solche, die man knuddeln möchte, in die Wangen kneifen und ihnen einflüstern: "Ist doch gar nicht so schlimm, dass ihr doof seid."
    Die Bahn ist ziemlich voll und poltert los. Ich glaube, die beiden mir gegenübersitzenden Menschen sind auch voll. Beide haben Bierflaschen bei sich, er Becks, sie Veltins. Sie trägt so ein Kleid, mit der unsichtbaren Aufschrift "Schlampe", es ist rot und kurz, die Beine hat sie übereinandergeschlagen. Er trägt so eine Militärhose und darüber ein schwarzes Polohemd von Fred Perry. Außerdem trägt er die Haare kurz und den Arsch weit offen. So sehen Neonazis aus, möchte man denken, leider sehen die heute aber anders aus.
    Also die beiden sitzen da, sehen sich entliebend und trotzdem irgendwie Verbundenheit

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