Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
Vom Netzwerk:
ausmachen. Er irgendwie auch nicht. "Nächster Halt Blumenstraße", verstehe ich aus der alten Lautsprecheranlage.
    Den da, also mich, solle er doch in Ruhe lassen, bittet Veltins, er wäre doch grad erst ausm Knast raus und ruckzuck könne er doch wieder drin sein, wenn er jetzt wieder zuschlüge. "Ach, leck mich, Alte!", knarzt Becksbirne zurück. Der Typ, also ich, würde ihn auslachen und habe dementsprechend "auf's Maul" verdient. Aber satt, so seine Formulierung, satt auf's Maul hätte ich verdient. Da bekomme ich doch ein wenig Angst, zuerst ein bisschen, dann ein bisschen mehr und dann diese Angst, die einen erstmal stumm macht. Ich bin froh als an der Blumenstraße, die sich aber als Turmstraße outet, noch drei Menschen einsteigen.
    Tür auf, Menschen rein, Tür zu, Weiterfahrt. Becks Hass steigert sich, sein Schmerz in der Blasengegend scheinbar auch. Schon wieder 'ne Haltestelle verpasst, bemerkt Veltins die Dummheit Becks, aber der, ja der hat grad andere Dinge zu tun. Steht da vor mir, hat 'ne grüne Nullkommadreidrei-Bierflasche in der Hand und die kreist irgendwo über meinem Kopf. Ich spüre schon zersplittertes Glas und den puren Hass und den totalen Kontrollverlust und das asozialste aller Gefühle, nämlich stumme Angst. Die Flasche bewegt sich auf mich zu. Ich sehe nur noch Zeitlupe und dann schaltet eine Kamera in meinen Kopf und da sehe ich meine Mutter, die mich im Kinderwagen lang schiebt, meinen Vater, der von der Arbeit nach Hause kommt und meinen Bruder und mich extremst selbstzufrieden im Playmobilland. Oh Gott, denke ich, solche Bilder sieht man doch nur, wenn ...
    Augen auf. Die Bewegung von Becks stoppt, ein couragierter Fahrgast steht hinter ihm und reißt ihm die Flasche in einer Kombination aus Eleganz und Gewalt aus der mich bedrohenden Schlaghand. Mein Leben geht in die Verlängerung. Es steht wieder unentschieden.
    Der Typ kann wohl irgendwie Kampfsport, auf jeden Fall dauert es keine fünf Sekunden und der jammernde Becks liegt unter meinem neuen besten Freund. Mein Puls rast. Veltins heult rum und jammert in bester Emoweibchenmanier, sie werde ihn nicht im Knast besuchen. Der Held dreht Becks die Arme auf den Rücken, bis dieser fast weint. Ich stehe auf und sehe vor mir auf dem Boden meinen Fastmörder und meinen Retter. Becks zuckt, sein Kopf wird von meinem neuen besten Freund auf den Boden gedrückt und ich höre nur Wortfetzen wie "Kaputtschlagen", aber auch "Pippi" und "Toilette". Veltins schreit auch total rum. So eine Art Quieken ist das, wie man es von fröhlichen Ferkeln kennt oder Hamstern, die man zu fest drückt. Um Becks' Leistengegend bildet sich in relativ schneller Geschwindigkeit eine stinkende Urinpfütze, aber mein Held hält auch das aus, sitzt auf dem Rücken von Becks und bringt seine Arme in eine Schmerz steigernde Position.
    Die Guten haben gesiegt und ich steige aus, sage jedoch vorher noch zu dem Typen, dass ich mich zu Dank verpflichtet fühle, ihm aber jetzt nicht danke, weil ich Zivilcourage für eine Art sozialistische Selbstverständlichkeit halte. Der Typ nickt, als wisse er Bescheid. Dann gehe ich. Stehe. Gehe. Die Zugtüren öffnen sich gerade und ich verabschiede mich vom Schauplatz des Grauens, an dem immer noch ein immens starker schweigender Mann auf einem unverständlich schreienden Inkontinenten sitzt. Das Ganze vor Leuten, die alle geradeaus gucken. Aus dem Fenster oder an die Decke, immer aber weg.
    Veltins geht mir hinterher und bietet mir an, aus ihrer Flasche zu trinken. "Ich mag kein Veltins", antworte ich ihr, "das ist BAH!!!" Ich benutze eine Sprache, die sie auf jeden Fall nachvollziehen kann. "Du Spinner", keift Veltins und kriegt einen roten Kopf, bleibt am Bahnsteig stehen und heult. Sie tut mir leid, aber wofür haben wir denn in Deutschland Sozialämter und RTL2. Veltins muss doch nicht ewig auf der Straße rumgammeln.
    Ich gehe durch eine Unterführung. Es ist kalt. Will ins Hotel. Da ist ein Taxistand, ich lasse mich auf einen vorgewärmten Sitz sinken und nenne stumpf den Namen meines Hotels. Der dicke Fahrer, der aussieht wie eine Mischung aus Kartoffelsalat und Bastian Schweinsteiger, ist noch sehr jung und das bemächtigt ihn zu der Frage: "Na, schönen Abend gehabt?" Ich drehe mich zu ihm hin und sage: "Das Proletariat hat auf den Boden gepinkelt und mir seine Ausgeburten hinterhergeschickt." Er guckt verwirrt und meint: "Hä?" Er hält mich wohl für irgendwas auf Heroin oder so und macht das Radio lauter. Die sagen

Weitere Kostenlose Bücher