Ich bin unschuldig
sind es nur Minuten, bis unter unserem Fenster ein Tumult ausbricht: Türenschlagen, Lachen, Stimmen, das Klappern des Tors.
Ich lasse Philip im Schlafzimmer allein, gehe nach unten und öffne die Haustür weit, und da ist Millie, in kurzer Hose und mit nackten Füßen und roten Wangen von Spaziergängen auf dem Land und frischer Luft und Selbstgekochtem. Und hinter ihr kommt Robin, fröhlich und geradlinig, unter dem Arm ein Bündel Rhabarberstangen.
Wir umarmen uns und kreischen ein wenig. Millie springt auf und ab und verzieht das Gesicht über meine Haare, und Robin hastet auf die Toilette, weil ihr Beckenboden arg mitgenommen ist. Ich habe den Rhabarber in den Händen und frage mich, was ich damit machen soll. Dann ist Philip auf der Treppe, seine Wangen glänzen silbrig vom kalten Wasser, und Millie stößt einen Schrei aus, als sie ihn sieht, und er kommt ganz herunter und hebt sie hoch und wirbelt sie herum und küsst und umarmt sie, einen Laut in der Kehle wie ein Knurren. Dann kommt Robin aus der Toilette, zieht gerade noch den Reißverschluss ihrer Jeans hoch und sagt etwas über Familienzusammenführung, und einen Augenblick vergesse ich alles und denke: Alles wird gut.
Wir haben unseren Tag. Wir machen Brathähnchen, von dem Millie nicht essen kann, weil sie vollgestopft ist mit Würstchen und Chips, und wir spielen Karten, was wir sonst nur in den Ferien tun. Wir gehen spazieren, rüber zum Spielplatz, und Philip sitzt neben mir auf der Bank, seine Finger mit meinen verschränkt, Schutz vor Anstupsen und Gaffen. Sie kennen mich nicht, diese Leute. Sie glauben mich zu kennen, aber da täuschen sie sich. Wenn man nicht im Fernsehen ist, wenn man niemand Besonderer ist, muss man sich mehr Mühe geben. Sobald das hier vorbei ist, werde ich härter an solchen Sachen arbeiten.
Später zu Hause finde ich in den Hochglanzkochbüchern ein Rezept für einen Rhabarberkuchen, und wir machen es uns auf dem Sofa bequem, wir drei, und essen Kuchen und sehen uns House of Anubis an. Philip versucht, wach zu bleiben. Millie stupst ihn, wenn ihm der Kopf auf die Brust sinkt. Seine Augen tränen. Seine Nase läuft. Heuschnupfen oder Jetlag oder Trauer. Ich sehe zu, wie er zerfließt.
Als sein BlackBerry zwitschert, kriegt er es nicht mit; vielleicht ist es ihm auch egal.
Mein Telefon klingelt unablässig: Philips Eltern sind von ihrer Kreuzfahrt zurück mit Berichten über die Alte Welt. Können sie am Wochenende kommen? Ist das okay? Ihre Köpfe sind voll von Sparta und Byzanz und dem netten Paar aus West Byfleet, das sie kennengelernt haben. Ich würde ihnen gern erzählen, was passiert ist, während sie unerreichbar waren, doch ich lasse es. Nachbarn oder Freunde werden es ihnen schon sagen. Es kann warten. Mehrere SMS und verpasste Anrufe von Jack, die ich weder lese noch beantworte. Meine Voicemail füllt sich und läuft über. Alles wird flüssig.
Um fünf kommt Robin zurück, mit geröteten Wangen und fliegenden Locken. Der Himmel hat sich verdunkelt; dicke Wolken haben sie vom Bahnhof hergejagt. Ich sage ihr, dass sie die allegorische Verkörperung von Gesundheit und Fruchtbarkeit ist. »Das bin ich auf jeden Fall«, sagt sie. »Der Arzt meint, da unten wäre alles in bester Ordnung.« Sie trinkt eine Tasse Tee und isst ein Stück Kuchen, doch sie ist erledigt, ihre Brüste platzen schier, und sie möchte unbedingt nach Hause zu ihrem Baby. »Was ist mit dir, Kleine?«, fragt sie Millie. »Willst du wirklich mit mir zurückfahren?«
»Ich will bei Mum und Dad bleiben«, sagt Millie. »Aber ich würde auch gern zu Roxannes Party gehen.«
»Wir kommen dich am Wochenende holen«, sage ich.
Robin steht mühsam auf. »Machen wir es so, oder machen wir es so?«
Ich trage Millie zum Wagen. Ihre Arme liegen warm um meinen Hals, die Beine hat sie mir um die Taille geschlungen, ihr kleiner muskulöser Körper schmiegt sich an mich. Ich schnalle sie an und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn, das Kinn und beide Wangen. Philip gibt ihr einen Kuss und bückt sich, um Tschüs zu sagen.
Wir stehen da und winken. Ich laufe dem Auto die Straße hinunter nach und rufe: »Bis in zwei Tagen!« Regentropfen sprenkeln den Bürgersteig. Als ich mich umdrehe, ist Philip schon ins Haus gegangen. Das Mauerwerk ist dunkel geworden, nass. Er hat die Haustür aufgelassen, und ich schließe sie hinter mir.
Im Flur ist es düster. Philip ist wohl nach oben gegangen. In der Küche ist es dämmriger, als es sein sollte. Der Regen ist
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