Ich bin verboten
erreicht hatten. Es war ihnen egal, wenn sie angestarrt wurden und die Menschen draußen auf der Straße wussten, dass der Jude mit dem langen zotteligen Bart, der sonst keiner Frau die Hand gab, ihr Vater war; es war ihnen egal, wenn jemand sales juifs – schmutzige Juden – feixte. Zalman beugte sich zu den Mädchen hinab. »Die Kleider, mit denen wir den Hass der Gojim auf uns ziehen, zeichnen uns vor dem Himmlischen Herrscher aus.«
Swisch … ratschten die Messer über den Schleifstein.
Swisch … fegte das Springseil der Mädchen über den Dielenboden des Korridors.
Zalman trat aus der Küche, die blinkenden Klingen sicher im Filzstoff verstaut. Mila und Atara drückten sich gegen die Wand, denn sie wussten, dass sie ihm nicht im Weg sein durften. Als die Tür der Studierstube sich schloss, begannen sie wieder Seil zu hüpfen. Sie taten es mit großem Ernst. Die uralten Gefährdungen der Wüste warfen ihren Schatten und zogen vorbei.
*
Die Kinder standen schon in der Haustür und wollten gerade zu ihrem ersten Schultag aufbrechen, als Zalman aus der Studierstube trat. Die Mädchen bissen sich auf die Lippen – jetzt würden sie sich bestimmt verspäten.
»Passt auf euch auf«, ermahnte Zalman die Kinder, »und passt aufeinander auf. Wenn die Marionetten des Satans sich versammeln, um ihr neues Trugbild, den Staat Israel, zu feiern, müsst ihr euch von ihnen fernhalten. Blimela, du bist die Älteste« – Zalman sprach Mila immer mit ihrem jiddischen Namen an –, »du wirst auf die Jüngeren achtgeben.« Mila nickte. »Vergiss nicht, Blimela, wenn du die Gebote HaSchems befolgst, rücken die Seelen deiner Eltern näher zu Ihm, doch wenn du vom Wege abweichst, werden ihre Seelen in eine kalte Wüste verbannt, in der sie gefrieren und zerbrechen.«
Mila schloss die Augen, um ihre Eltern besser sehen zu können. Sie war dafür verantwortlich, dass sie es warm hatten.
»Die Kinder werden zu spät kommen«, flüsterte Hannah Zalman zu.
»Der Herr gibt uns noch eine Chance. Möge Er uns von den Feinden befreien, die uns umgeben, möge Er uns aus dem Exil führen. Amen.«
»Amen«, echoten die Kinder und zogen die Schulterriemen ihrer Schultaschen fest.
Die Glocke klingelte bereits, als sie den Schulhof betraten. Schnell lieferten Mila und Atara die jüngeren Geschwister bei der Vorschullehrerin ab und reihten sich in die Schlange ein, die ins Hauptgebäude strömte. Sie wunderten sich, dass sie in dieselbe Klasse kamen, obwohl Mila doch fast ein Jahr älter als Atara war und die erste Klasse bereits in Sibiu abgeschlossen hatte. Doch Zalman hatte nur eine geschlechtergetrennte Klasse durchsetzen können; in der Schule der Häretiker durften Mädchen und Jungen gemeinsam lernen.
Eine Wand des hellen Raums wurde von hohen Fenstern eingenommen. Vor einer linierten Tafel stand die Lehrerin. Sie war hübsch, obwohl sie eine Hose trug. Von der Hose durfte Zalman auf keinen Fall erfahren. Über die anderen beiden Wände zog sich ein durchlaufender Fries aus aneinandergeklebten Kinderzeichnungen von blauen Sternen auf weißem Papier.
Mila und Atara bekamen zwei leere Pulte weiter hinten zugewiesen. Einige Kinder drehten sich zu ihnen um und lächelten, andere steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.
Jeden Morgen öffneten die Mädchen mit leuchtenden Augen ihre cahiers d’école, Hefte mit strahlend weißen, blassblau linierten oder karierten Seiten. Sie tauchten die neuen Federhalter in gläserne Tintenfässer. Wie herrlich war es, die neuen französischen Wörter mit all den Ober- und Unterlängen zu drechseln.
Die Lehrerin kündigte eine Feierstunde zur Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel an. Mila blickte zu dem Fries aus blauen Sternen hoch. Ihre Feder kratzte stockend über das Papier und hinterließ einen Tintentropfen auf der weißen Seite. Wieder einmal würden die beiden Mädchen ausgegrenzt sein. Mila errötete bei dem Gedanken, dass Atara und sie im Pausenhof schon dreimal zu Räubern ernannt worden waren. Inmitten des Kriegsgeschreis ihrer Klassenkameradinnen hatten sich die beiden Mädchen aneinandergeschmiegt und waren schließlich ins Schulgebäude geflüchtet, was während der Pause eigentlich nicht erlaubt war. Die hübsche Lehrerin war in ihrer Hose die Treppe hinabgekommen, aber Atara und Mila hatten beschämt zu Boden geblickt, weil sie nicht sagen wollten, dass sie von ihren Klassenkameradinnen gehänselt und gehetzt wurden. Die Lehrerin hatte die Mädchen in ihren braven
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