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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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einige von uns halten ihn zurück.«
    Etti begann zu wimmern.
    »In der sogenannten jüdischen Schule, in die ich euch leider schicken muss, werdet ihr – was Gott verhüten möge! – vielleicht von einer Blasphemie hören, die sich Jüdische Aufklärung nennt. Doch der Chatam Sofer sagt, die Thora verbietet alles Neue. Vielleicht hört ihr auch vom unheilvollen Sprössling der Aufklärung: dem Zionismus. Unser Rebbe sagt, der Zionismus sei für die schrecklichen Geschehnisse verantwortlich gewesen. Eine Zionistenarmee soll uns beschützen?« Wieder schlug Zalmans Faust auf den Tisch.
    Die Milch in den Schüsseln der Kinder wirbelte herum und schwappte über den Rand auf das Wachstuch.
    Etti begann laut zu schluchzen.
    Zalmans Stirn legte sich in Falten. Sein Puls galoppierte. Kinder mussten ihren Vater fürchten, damit sie zu gottesfürchtigen Juden heranwuchsen. Seine Stimme erhob sich über das Schluchzen seiner kleinen Tochter.
    »Wer sind wir, uns gegen andere Nationen zu erheben, wenn Gott von uns Unterwerfung verlangt? Wer sind wir, einen jüdischen Staat zu gründen, wenn Gott für uns das Exil vorgesehen hat? Gott hat uns drei Eide schwören lassen.« Zalman wandte sich wieder an seinen ältesten Sohn. »Wie lautet der erste?«
    Schlomo zögerte. Zalman schaute die anderen Kinder an, doch niemand wusste es.
    »Der erste Eid: dass wir die Mauern des Exils nicht stürmen werden. Der zweite: dass wir uns nicht gegen die Völker auflehnen, die uns Exil gewähren. Der dritte: dass wir das Ende nicht erzwingen werden.
    Wir dürfen das Gelobte Land nicht aus eigener Kraft erschaffen. Unsere Befreiung wird durch ein Wunder geschehen, und wer an dieser wunderbaren Erlösung zweifelt, zweifelt an der gesamten Thora. Möge HaSchem uns von den Feinden befreien, die uns umgeben. Möge Er uns aus dem Exil erlösen. Amen.«
    »Amen«, sprachen die Kinder ihm nach.
    Zalman erhob sich und stapfte mit schweren Schritten zur Tür.
    Als sie am Nachmittag über die Rutsche im Jardin du Luxembourg sausten, vergaßen die Kinder fast, dass sie durch die Wüste wandelten; sie flogen in der bootsförmigen Schaukel durch die Luft und vergaßen fast, dass sie auserwählt waren, sich abzugrenzen. Und als es ihnen wieder einfiel, kreischten sie beim Rutschen nur noch lauter und kletterten, kaum dass sie unten waren, gleich wieder hoch, als könne die nächste Rutschpartie die letzte sein, bevor sie aus dem Exil geführt würden. Die Mütter auf den Parkbänken schüttelten die Köpfe. Diese Bagage mit den Schläfenlocken und den langen Röcken war sicher die lauteste, die man im Luxembourg jemals gehört hatte.
    »So viel Fröhlichkeit in der Wüste?«, tadelte Zalman die Kinder, als sie mit geröteten Wangen durchs Treppenhaus nach oben gepoltert kamen. »Was glaubt ihr, wo die jüdischen Kinder sind, die vor euch hier gewohnt haben? Wer von unseren Nachbarn hat sie ausgeliefert?«
    In Sibiu hatte Zalman toleriert, dass seine Söhne im Hof mit Murmeln spielten, aber in Paris erlaubte er es nicht mehr. »Bitul z’man – Zeitverschwendung«, schimpfte er die Jungen, wenn er sie an den Ohren in die Studierstube zog. Die Mädchen durften Seil springen oder Hüpfkästchen spielen, vorausgesetzt, Hannah brauchte sie nicht; aber Jungen, die alt genug waren, um zu lesen, hatten über den heiligen Büchern zu sitzen.
    Mila und Atara spürten, dass Zalman, der während der Gräueltaten der letzten Jahre so viel Mut bewiesen hatte, Angst vor Paris hatte. Sie wollten ihm Rückhalt geben und den Thoragelehrten, der seine Welt verloren hatte, mit ihrer Frömmigkeit trösten. Zum Ende des Sabbats, wenn von den Frauen nicht erwartet wurde, am Gottesdienst teilzunehmen, begleiteten sie ihn zur Synagoge. Wie Zalman verließen sie den Gehweg, wenn sie an Kirchen vorbeikamen, diese Orte der Götzenanbetung. Sie wollten ihnen nicht zu nahe kommen. Wie Zalman wandten sie sich von den Götzenbildern ab, die Fassaden und Springbrunnen schmückten, und schauten in eine andere Richtung. Schließlich hatte der Herr nicht ihre Körper gerettet, damit ihre Seelen ins Verderben stürzten. Bevor er eine Straße überquerte, packte Zalman die Mädchen bei den Händen, umklammerte ihre Handgelenke und bremste sie mit festem Griff. Zalman berührte seine Kinder so selten, dass dieser feste Griff ums Handgelenk die Mädchen mit einem wunderbaren Gefühl von Sicherheit erfüllte. Manchmal vergaß Zalman, sie wieder loszulassen, wenn sie die andere Straßenseite

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