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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Röcken und dicken Strümpfen lange angesehen. Dann hatte sie gefragt, ob es stimme, dass ihr Vater ihnen nicht erlauben würde, das Baccalauréat zu machen. Die Mädchen hatten gestottert, sie wüssten nicht, was das sei, das Bacca …
    Atara starrte auf den Tintenfleck in Milas Heft.
    »Wir müssen herausfinden, wann genau die Feierstunde stattfindet«, flüsterte sie.
    »Ruhe!«, rief die Lehrerin.
    Wenn sie wussten, an welchem Tag die Feier war, würden Zalman und Hannah ihnen bestimmt erlauben, zu Hause zu bleiben. Zalman würde sogar wollen, dass sie zu Hause blieben.
    Der blaue Davidstern flatterte am strahlenden Maihimmel. Die Klassen hatten sich im Schulhof versammelt und lauschten der leidenschaftlichen Rede, die der Schulleiter durch ein Megaphon aus einem Fenster im zweiten Stock hielt: Aus der Geschichte, so mahnte er, müssten die überlebenden Juden lernen, dass Wehrlosigkeit ihnen nicht weiterhelfe. »Nicht mehr nächstes Jahr, sondern dieses Jahr«, donnerte die euphorische Stimme aus dem Zionistenmegaphon, »dieses Jahr in unserem neuen Staat Israel!«
    Alle im Hof schrien begeistert mit. Lehrer und Schüler fassten sich bei den Händen. Eine Klassenkameradin griff nach Ataras Hand, um die beiden Mädchen mit in den großen Kreis zu ziehen, doch Mila und Atara schüttelten die Köpfe und drückten sich noch fester gegen die Hauswand, als wollten sie in ihr versinken. Trotzdem schauten sie wie gebannt auf die ineinander verschränkten Hände und die stampfenden Füße, schauten selbst dann noch, als das verbotenste aller Lieder an ihre Ohren drang:
    »Unsere Hoffnung ist nicht verloren, die Hoffnung, zweitausend Jahre alt, zu sein ein freies Volk, in unserem Land …«
    Doch es war verboten, alles war verboten: Dass sich Jungen und Mädchen an den Händen hielten, dass sie zusammen sangen, tanzten und das Ende feierten, obwohl das Ende noch nicht gekommen war.
    Auf dem Heimweg von der Schule schwiegen Mila und Atara. Die ganze Woche lang konnte Mila Zalman nicht in die Augen sehen. Sie flehte Gott an, er möge ihr Herz prüfen, sie habe das Ende nicht erzwingen wollen. Sie, Mila Heller, wollte geduldig auf ihre Erlösung warten.
    *
    Um dem gottlosen Einfluss der Schule etwas entgegenzusetzen, stellten Hannah und Zalman die neunzehnjährige Leah Bloch ein. Die Absolventin des Lehrerinnenseminars sollte die Mädchen in sittsamer Lebensführung und im religiösen Gesetz unterweisen. Insgeheim träumte die blasse, schmallippige Leah Bloch davon, zu dieser neuen chassidischen Familie aus der Fremde zu gehören, statt zu ihrer recht gewöhnlichen französischen Familie. Mila und Atara erklärte sie, dass sie stolz auf ihre Abstammung sein müssten und auf Eltern, die den französischen Lumières nicht auf den Leim gegangen waren. Sie brachte den Mädchen die korrekte Bibellektüre bei: Niemals sollten sie die Worte der Heiligen Schrift allein lesen, sondern immer zusammen mit den Auslegungen der hochverehrten Gelehrten. Als Kontrast zu den Liedern aus der Schule sang sie den Mädchen mit großer Inbrunst fromme Lieder vor. Am Nachmittag eines jeden Sabbats tanzten Leah Bloch und die Mädchen zu der Melodie: »Ich will den Messias jetzt!«
    Von Leah Bloch erfuhr Hannah, dass Mila und Atara sich nicht an der verbotenen Feier beteiligt hatten. Zalman rief die Mädchen zu sich in die Studierstube. Lächelnd blickte er erst die eine, dann die andere an. »Nu?« In jener Woche übte er jeden Nachmittag eine Passage aus den Gottesdiensten der Bußtage mit ihnen, bis sie diese sicher sangen. Es war eine schwierige Melodie. Den Jungen, die in der Synagoge mit ihm singen sollten, hatte er sie bereits beigebracht, doch Mila und Atara hatten schönere Stimmen, nur durften sie die nicht in der Öffentlichkeit und schon gar nicht vor Männern hören lassen. Da Mila aber noch unter zwölf war, durfte sie vor Zalman singen, obwohl sie nicht seine Tochter war.
    Die übereifrige Leah Bloch übernahm neben der Unterweisung der Mädchen gern noch andere Aufgaben von Hannah und begleitete die Kinder in den Park. Wenn Leah Bloch die kleinen Geschwister an der Hand führte, konnten Mila und Atara über die Brückenbögen zu den eisernen Parkportalen mit ihren goldenen Pfeilspitzen vorrennen.
    Und so kam es, dass sie sich an einem strahlenden Sabbatnachmittag allein im Jardin du Luxembourg wiederfanden. An den Blumen und Bäumen spross schon das erste vorwitzige Grün.
    Die Mädchen rannten weiter.
    »Aha!«, knirschte der frisch

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