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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Schule wollen wir die Seele anregen – die Seele, nicht den Geist. Ein Mädchen, das sich seelisch bereichern und dem Schöpfer nahe sein will, lernt, was es lernen soll. Kennst du die Regeln beim Tennisdoppel? Beim Doppel bleibt man immer auf der eigenen Seite des Platzes. Nur Wichtigtuer rennen auf die Seite des Partners. Doch es zahlt sich nicht aus, anderen ins Handwerk zu pfuschen: Die eigene Seite des Platzes bleibt ungeschützt, und man verdirbt das Spiel. Wenn du ein heiliges Buch aufschlägst, sollst du dich fragen: Betrete ich fremdes Territorium? Denke darüber nach. Gute Nacht.«
    Der Direktor ging die Treppe hinab. Atara sah ihn vor sich, wie er in weißer Tenniskleidung auf seiner Seite des Platzes einem Ball hinterherhechtete.
    Trotz der Ermahnungen des Direktors kehrte Atara in das niedrige Bibliothekszimmer zurück. Sie schlug ein Buch auf, doch jetzt schimpften die Buchstaben mit ihr: »Tss, tss … smutzige Hände! Moses empfing das Gesetz am Sinai und reichte es an Josua weiter, der es an die Ältesten weiterreichte, die es den Propheten weiterreichten, die es an die Männer der Großen Gemeinde weiterreichten. Atara, der Tochter der Hannah, reichten sie es nicht.«
    *
    Kurz vor den Pessachferien rief der Direktor Mila in sein Büro.
    »Ich habe gehört, ihr fahrt nach Paris zurück. Bist du neugierig auf die Welt draußen?«
    Mila verneinte. Natürlich sei niemand ganz frei von Neugierde, doch ihr größter Wunsch sei es, einen Sohn der Thora zu heiraten und eine jüdische Familie zu gründen.
    »Gut, gut. Dann darfst du keinen Umgang mit Frevlern pflegen.«
    Mila nickte.
    »Du willst Atara doch helfen, oder?«
    Milas Herz klopfte schneller.
    »Was will Atara? Was denkt und plant sie?«
    Beinahe hätte Mila mit Ataras Worten geantwortet: Atara will selbst entscheiden. Doch sie besann sich: »Atara lernt mehr als jedes andere Mädchen hier.«
    Der Direktor räusperte sich. »Interessiert Atara sich für Jungen?«
    »Natürlich nicht!«
    »Aber warum nur akzeptiert sie keine eindeutigen Antworten? Du und alle eure Freundinnen, ihr müsst Atara zeigen, dass ihr anderer Meinung seid.« Er drohte mit dem Finger. »Es ist eine Pflicht, die Bösen zu hassen. Lass sie spüren, dass sie dich verlieren wird.« Er hielt kurz inne. »Auch du bist in Gefahr. Der Ruf ist ein zerbrechliches Gefäß, eine falsche Bewegung, und es zerbricht … und mehr als deinen Ruf hast du nicht, armes Waisenkind.« Die dicken Brillengläser verwischten seine Augenfarbe. »Denke darüber nach.« Er erhob sich. »Ich wünsche dir eine sichere Reise und ein koscheres Pessach.«
    Mila stolperte aus dem Zimmer. Mit ihren Fragen brachte Atara sie noch beide in Schwierigkeiten. Ein Mädchen hatte sogar schon gefragt, ob Atara aus einer frajen Familie stamme, einer freidenkerischen Familie, und warum sie dann zur Seminarschule zugelassen worden sei. »Ataras Vater ist der große Thoragelehrte Zalman Stern, der jedes einzelne Edikt des Rebbe befolgt«, hatte die sonst so liebenswürdige Mila zurückgeschnappt.
    *
    Mila und Atara küssten Zalmans Hand. Sie küssten und umarmten Hannah, und dann küssten und umarmten sie die kleinen Geschwister, die schon ungeduldig an ihren Ärmeln und Röcken zerrten. Atara fiel auf, dass sich Schlomo, der gerade dreizehn geworden war und am selben Tag aus seiner Jeschiwa im Ausland zurückgekehrt war, ein wenig im Hintergrund hielt. Er biss sich auf die Unterlippe – ein Bar-Mizwa-Junge küsste seine Schwester auch nach einer längeren Trennung nicht. Atara winkte ihm unbeholfen zu, worauf er rot wurde und davonstürmte.
    Hannah drückte sich die Hand ins Kreuz und stöhnte kurz auf. Atara eilte mit einem Stuhl herbei. »Setz dich, Mama. Setz dich!«
    Mila brachte einen Schemel. »Hier, Tante Hannah!«
    Hannah setzte sich und seufzte vor Erleichterung. »Meine Töchter sind wieder da!«
    Atara hob Hannahs geschwollenen Fuß hoch und legte ihn auf den Schemel, Mila nahm den anderen geschwollenen Fuß und legte ihn daneben. Hannah lächelte und streckte die Beine aus. Das feste Gewebe ihrer Stützstrümpfe reflektierte das Licht wie eine Metallplatte.
    Hannahs Kniekehlen waren knotige Pflaumen, ihre Füße blutrote Verästelungen, doch der Arzt mahnte und drohte vergeblich: Was zählte schon ein hoher Blutdruck, was zählten Krampfadern und Erschöpfung verglichen mit dem Schicksal von Hannahs Geschwistern, die nicht mehr zurückgekommen waren? Hannahs Bauch war wieder geschwollen.
    Hannah lehnte

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