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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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wenn sie nicht gerade in Afrika war, um Menschenleben zu retten, wäre es bestimmt auch keine Sünde, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen …
    In den Sommerferien würde sie mit Zalman sprechen. Es ging kein Weg daran vorbei.
    Im Juni ging in den Klassenzimmern das Gerücht um, die israelische Regierung stehe kurz vor dem Aus. In der Seminarschule gab es keine Zeitungen, Radios oder Fernseher. Die Mädchen diskutierten, ob der innere Zerfall der blasphemischen zionistischen Führungsriege bedeutete, dass der Herr dem Volke Israel seine Sünden vergeben würde. Vielleicht nahten das Kommen des Messias und der Tag, an dem die Toten wiederauferstanden. Am nächsten Sabbat tanzten die Mädchen mit besonderer Leidenschaft. Sie baten Atara, ihnen das Ich glaube vorzusingen. Atara stimmte die Melodie an, und bald war der Speisesaal von den sehnsuchtsvollen Stimmen der Mädchen erfüllt. Ich glaube aus ganzem Herzen an das Kommen des Messias …

Sommer 1956
    Die Sommerferien verbrachten die Mädchen wieder in Paris. Diesmal teilten sie sich die Arbeit im Haushalt auf. Atara übernahm die Verantwortung für Zalmans Studierzimmer. Jeden Morgen staubte sie die Regale ab, in denen der Babylonische und der Jerusalemer Talmud standen, die heiligen Bücher, die sie aus Siebenbürgen mitgebracht hatten, und die heiligen Bücher, die Zalman aus jüdischen Verlagen in der ganzen Welt bezog. Atara wartete auf den geeigneten Moment, um mit ihrem Vater zu sprechen. Während sie die geschwungene Lehne des Sessels aus Walnussholz, seine mit Nieten bestückten Armlehnen und die Klauenfüße abstaubte, stellte sie sich vor, wie sie nach einem Studientag an der Sorbonne zum Abendessen mit ihren Eltern und Geschwistern nach Hause kam. Sie sog den leichten Tiergeruch der scheckigen Schutzhülle aus Rindsleder ein, in der Zalmans Gebetsschal und Gebetsriemen steckten, und ordnete den Stapel mit Heften der Wochenzeitung Der Yid, in der die Reden und Edikte des Rebbe verbreitet wurden.
    In einem Leitartikel wurde gegen Zionistenführer gewütet, die versäumt hatten, die ungarischen Gemeinden vor den Deportationen zu warnen. Außerdem wurden Zionisten beschimpft, die andere Zionisten gerettet hatten, aber Millionen Gottesfürchtige, die ihnen nicht in ihren Staat passten, von der Liste strichen. Es war verboten, sich am Gräuel des Zionismus zu beteiligen; es war verboten, der zionistischen Armee beizutreten, und es war verboten zu wählen. Der Satmarer Rebbe bot jedem, der sich bereit erklärte, nicht an den zionistischen Wahlen teilzunehmen, Nahrungsmittel im Wert von fünfzehn Dollar an. Ob denn sechs Millionen nicht reichen würden?
    Im August wartete Atara immer noch auf die richtige Gelegenheit, um mit ihrem Vater zu sprechen. Jeden Tag stand sie draußen vor Zalmans Studierzimmer und hörte, wie er für die Gottesdienste an den Hohen Heiligen Feiertagen übte. Seine Singstimme klang so angenehm und wohl temperiert … Eines Nachmittags, als es hinter der Tür still blieb, nahm sie all ihren Mut zusammen und klopfte.
    »Nu?«, rief Zalman. Als sie die Tür öffnete, blickten seine hellblauen Augen von einem Talmudfolianten auf.
    »Tatta?«
    »Nu?«
    »Ich habe viel gelernt … ich habe versucht …« Ihre Stimme bebte. »Tatta, würdest du mir erlauben, nicht mehr an die Seminarschule zurückzugehen?«
    Zalmans Mund weitete sich zu einem Lächeln. »Natürlich darfst du zu Hause bleiben. Mir sind diese neuen Mädchenschulen ohnehin nicht geheuer. Zahllose Generationen jüdischer Mütter haben Thoragelehrte aufgezogen, ohne selbst ein Wort in der Heiligen Schrift lesen zu können. Und es wäre ein Segen, wenn du im Haushalt helfen könntest. Natürlich darfst du daheimbleiben.«
    »Ich werde im Haushalt und mit den Kindern helfen.«
    »Nu?« Zalman lächelte immer noch.
    »Würdest du zulassen … wäre es akzeptabel, wenn ich … abends, nachdem alle Arbeit getan ist … wenn ich dann studiere? In Büchern? Nur in meinem Zimmer? Von den anderen bekäme sie niemand zu sehen.«
    »Was für Bücher?«
    »Ich dachte … ich hatte gehofft … natürlich erst nach meiner Heirat … ich hatte gehofft, ich könnte Medizin studieren, um anderen zu helfen …«
    »Medizin?«, wiederholte Zalman ungläubig. »Meinst du nicht, in Deutschland hat es genügend jüdische Ärzte gegeben? Du weißt doch, dass ein säkulares Studium verboten ist.«
    »Ich will helfen, Menschenleben zu retten … um …«
    Zalman zwang sich zur Ruhe. »Du bist fast

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