Ich bin verliebt in deine Stimme
Leinwand. Sie legte die Hände in den Schoß, vermied es, den Ellbogen auf die Armlehne ihres Sitzes zu legen, um mit dem Mann neben ihr ja nicht in Berührung zu kommen.
Der Film war ein Schmachtfetzen. Inge hatte sich vorher nicht vergewissert, war aufs Geratewohl in dieses Kino gegangen, hatte sich lediglich darauf verlassen, daß der Film eine französische Produktion war und deshalb einiges erwarten ließ. Sie hatte sich gründlich getäuscht. Auch Inge mußte nun die Erfahrung machen, daß die Franzosen, nicht anders als die Deutschen oder Amerikaner oder alle anderen, auf einen guten Film hundert schlechte drehen.
So war also der Leinwandheld nach langer Not und Gefahr endlich gerettet worden und trat nun seiner heimlichen Geliebten gegenüber. Die große Happy-End-Szene begann. Anschwellende Musik untermalte diesen Augenblick, da der Held das scheue Mädchen umarmte. Ihre zentimeterlangen Wimpern senkten sich. Großaufnahme: Ein Kuß mit zitternden Lippen und Schnurrbarthaaren, die im Wege standen. Musik – noch immer küßten sie sich. Im Hintergrund erschien eine Landschaft …
»Großer Gott!« stieß da plötzlich der blonde Mann neben Inge so laut hervor, daß sie es hören konnte.
Inge sah zu ihm hinüber. Auch er blickte sie an. Anscheinend erwartete er eine Antwort. Sie schwieg jedoch.
»Gefällt Ihnen das?« fragte er sie geradeheraus.
»Ja«, antwortete sie, um ihn zu provozieren. Der Mann sah zwar gut aus, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, anzunehmen, daß sie sich ohne weiteres von ihm anmachen ließ.
»Das glaube ich Ihnen nicht«, entgegnete er.
»Meinetwegen«, erwiderte sie und blickte wieder zur Leinwand.
»Was gefällt Ihnen?« ließ er nicht locker. »Daß der nicht die Wimpern abfallen?«
Das verlangte, daß ihm mit gleicher Münze heimgezahlt wurde.
»Sein Schnurrbart«, sagte sie.
»Sein Schnurrbart?«
Ralf zeigte Wirkung, indem er mit Daumen und Zeigefinger seine Oberlippe bestrich, die blank war.
»Mir gefallen nur Männer mit Schnurrbart«, setzte Inge noch einen drauf.
»Das glaube ich Ihnen nicht«, sagte er noch einmal, sich gegen seine Erkenntnis wehrend, die ihn in diesem Augenblick schmerzen mußte.
Auch sie wiederholte sich.
»Meinetwegen.«
Absolute Gleichgültigkeit und Geringschätzung ihm gegenüber hätten nicht deutlicher zum Ausdruck gebracht werden können. Ralf Petermann hatte damit eine ganz neue Erfahrung gemacht. Ein weibliches Wesen schmolz vor seiner Erscheinung nicht einfach dahin.
Die Musik verebbte. Dann wurde es dunkel und gleich darauf hell und heller, da die Decken- und Wandbeleuchtung des Saales aufglomm. Die Vorstellung war zu Ende. Die Besucher brachen auf.
»Darf ich Ihnen helfen?« sagte Ralf zu Inge, als sie sich anschickte, in ihren Mantel zu schlüpfen, den sie zusammengefaltet auf ihren Knien liegen gehabt hatte.
»Danke.«
Irgendwie, sagte sie sich schon die ganze Zeit, kommt mir seine Stimme bekannt vor – aber nur ein bißchen. Sie wußte auch, weshalb. Die Stimme erinnerte sie entfernt an eine andere, eine Stimme am Telefon. Das konnte aber reiner Zufall sein. Sie gab also nichts auf die geringe Ähnlichkeit, die ihr hier auffiel. Nur der Zufall konnte da, wie gesagt, seine Hand im Spiel haben.
Den kleinen Stau nützend, der sich durch das übliche Gedränge der Leute am Ausgang des Saales ergab, sagte Ralf zu Inge:
»Haben Sie schon gegessen?«
»Nein«, machte sie ihm Hoffnung.
»Prima«, freute er sich. »Ich auch nicht. Darf ich Sie einladen?«
»Nein«, zerstörte sie seine Hoffnung.
»Warum nicht?«
»Weil ich gerade eine Abmagerungskur mache.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Warum glauben Sie das schon wieder nicht?«
Nun ging Ralf aufs Ganze.
»Weil ich Sie kenne. Sie sind schon immer so schlank gewesen wie heute.«
»Sie kennen mich?«
»Ja.«
»Und wer bin ich?«
»Inge Westholdt.«
Überrascht blickte sie ihn an. »Sind wir uns schon einmal begegnet?«
»Nein, aber wer sich für Sport interessiert, hat Ihr Bild schon in der Zeitung gesehen.«
Draußen auf der Straße versuchte es Ralf noch einmal. Mit einem Lächeln, in das er alles hineinlegte, sagte er: »Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mit mir essen gehen würden.«
»Nein.«
»Darf ich Ihnen versichern, daß Sie – wie soll ich mich ausdrücken – nicht das geringste Risiko eingehen?«
Er gefiel ihr, aber sie wollte sich das selbst nicht eingestehen. Jeder Mann hätte es an diesem Abend bei ihr sehr schwer gehabt.
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