Ich bin verliebt in deine Stimme
Ich habe mich doch nicht, sagte sie sich, vor wenigen Stunden über einen aufgeregt, der mit falschen Karten spielte, der weder ein Journalist noch ein Modeschöpfer war, um mich jetzt vom nächstbesten auflesen zu lassen. Sie wollte deshalb dem Versuch ein Ende bereiten.
»Es ist nicht das Risiko, das ich scheue«, erklärte sie.
»Was dann?« fragte er.
»Das habe ich Ihnen bereits gesagt. Mich stört an Ihnen, daß Ihnen der Schnurrbart fehlt. Mir gefallen wirklich nur Männer mit Schnurrbart. Ich könnte Ihnen nicht einen ganzen Abend gegenübersitzen.«
Starr stand er da und blickte ihr nach, als sie ihn einfach stehenließ und wegging. Nicht einmal gegrüßt hatte sie ihn zum Abschied.
Inge ging nach Hause. Nach Hause? Welches Zuhause hatte sie denn? Ein unpersönliches Zimmer in einer Pension. Nichts darin gehörte ihr. Ihre eigenen Sachen warteten immer noch in Braunschweig darauf, nach Berlin abgerufen zu werden. Doch dazu mußte sie erst eine Wohnung finden.
Nach einem kalten Imbiß legte sie sich früh zu Bett. Obwohl sie müde war, konnte sie aber lange nicht einschlafen. Was war nur los mit ihr? War eine Grippe im Anzug? Oder hatte sie sich eine andere Infektion zugezogen, eine seelische? Irgend etwas stimmte nicht mit ihr.
Unzufrieden mit sich selbst, nörgelte sie in Gedanken an ihrem Leben herum.
Morgen wieder acht Stunden am Klappenschrank …
Fräulein, bitte Hamburg …
Fräulein, wo bleibt Emden?
Fräulein, sofort Lübeck …
Fräulein, vergessen Sie nicht mein Gespräch mit der Handelskammer in Köln …
Fräulein … Fräulein … Fräulein …
Duisburg, aber schnell!
Essen!
Koblenz!
Bonn!
Ja, immer wieder Bonn: das Kanzleramt, die Ministerien, die verschiedenen Botschaften!
Fräulein … Fräulein … Fräulein …
Endlich kam der Schlaf und löschte Inges Gedanken aus. Doch es war kein ruhiger Schlaf. Kurze, unruhige Träume verfolgten sie.
Ein Möbelwagen, der von Braunschweig nach Berlin rollte …
Petra Martens als Gewinnerin eines Preisausschreibens mehrerer zusammengeschlossener Presseorgane …
Die Eröffnung einer Modewoche …
Ein großer, schlanker Mann, dessen Gesicht im Schatten blieb. Er sagte: »Ist es nicht doch das Risiko, das Sie nur scheuen, Fräulein Westholdt? Kommen Sie, wir gehen.«
Müde und zerschlagen wachte Inge auf. Der Wecker hatte angefangen zu läuten. Es war halb sieben morgens.
Aufstehen! Um acht Uhr wartete der Klappenschrank.
6
Ralf Petermann mußte für eine Woche nach Rom und Florenz. Diese Reise war unaufschiebbar, denn große italienische Modehäuser zeigten ihre neuen Kreationen. Die Tage im Ausland kamen Ralf wie eine Ewigkeit vor. Bei all den Vorführungen traumhaft schöner Kleider durch traumhaft schöne Mädchen war er nur halb bei der Sache. Seine Gedanken flogen nur allzu oft nach Berlin. Seine junge attraktive Assistentin, die er zum erstenmal auf eine solche Reise mitgenommen hatte, gab sich zwar große Mühe, das zu verhindern, besonders an den Abenden, wenn sie in sündteuren Lokalen saßen, um – nach seinem Empfinden – die Zeit totzuschlagen. Die Männer an den anderen Tischen pflegten keinen Blick mehr von der bella Tedesca zu lassen, nachdem sie sie einmal entdeckt hatten. In dieser Beziehung sind die Italiener, das kennt man ja von ihnen, Weltmeister.
Edith Kühnemann selbst hatte aber nur Augen für Ralf, dessen Reaktion jedoch darin bestand, sie von sich auf andere ablenken zu wollen.
»Mein Kind«, sagte er einmal, »dieses Land hier ist wie geschaffen für Sie – oder Sie für dieses Land, ganz wie man will.«
Schon das ›Kind‹ tat ihr außerordentlich weh.
»Die gehen mir alle auf die Nerven«, erklärte sie mit unterdrücktem Zorn.
»Wer?«
»Die!« sagte sie mit einer kreisenden Bewegung ihres Gesichts, von der sämtliche Männer ringsum erfaßt wurden, die schwarzgelockt waren oder einmal schwarze Locken besessen hatten. Auch einige Tattergreise mit spiegelnden Glatzen wurden nämlich nicht ausgenommen. Gerade diese hätten das auch keineswegs verdient gehabt, denn ihre Blicke, mit denen sie der kühlen, blonden Nordländerin einheizten, waren am feurigsten.
»Edith«, wunderte sich Ralf, »das verstehe ich nicht. Eine ihrer Vorgängerinnen in meinen Diensten ging mir schon am Brenner verloren. Eine zweite kündigte mir in der Maschine zwischen Mailand und Rom. Ihretwegen hätte damals die Crew beinahe den Flugplatz in Rom verfehlt.«
»Sie nehmen mich auf den Arm, Herr Petermann«,
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