Ich bin verliebt in deine Stimme
Lüneburger Heide. Der Brief kam von einer verwitweten Tante, die in den Bergen eine mittlere Pension mit einem kleinen, abgeschiedenen See besaß. Jedes Jahr schrieb diese Tante einmal, seit Inges Eltern gestorben waren, und lud sie ein, ihrer Pension mitsamt dem schönen Allgäu einen Besuch abzustatten.
»Ich kenne die Tante doch kaum«, murmelte Inge, den Brief, nachdem sie ihn gelesen hatte, aus der Hand legend und zur Ansichtskarte greifend. Als Braunschweigerin war ihr die Lüneburger Heide nichts Fremdes. Kurz die Vorderseite der Karte betrachtend, fragte sie sich, von wem sie wohl sein könnte. Bestimmt von einer ehemaligen Schulfreundin, die ein nahe gelegenes Urlaubsziel angesteuert hatte.
Sie dreht die Karte um. Ihre Augen wurden weit, nachdem der Blick auf die Unterschrift gefallen war. In geradezu unverschämt steilen und markanten Buchstaben stand da ›Petermann‹. Der kurze Text lautete: »Sehr geehrtes Fräulein Westholdt, ein paar Tage lang hatten Sie mich so weit, daß ich versucht habe, Sie mir aus dem Kopf zu schlagen. Ich dachte, eine Reise in die Lüneburger Heide würde mir dabei helfen. Irrtum! Gewaltiger Irrtum!!! Jetzt weiß ich erst recht, daß es für mich keine andere Frau mehr geben kann als Sie.«
Inge vergewisserte sich anhand des Poststempels, daß die Karte aus Soltau kam. Wilde Entschlossenheit packte sie. Nun wollte sie keine Minute mehr verlieren. Sie ging hinaus in den Flur, rief Petra an und fragte: »Was machst du gerade?«
»Wieso?«
»Kannst du heute noch zu mir kommen?«
»Ach du liebe Zeit, muß das sein? Ich bin schon halb ausgezogen.«
»Es ist wichtig.«
»Außerdem habe ich mir einen Brief nach Paris vorgenommen. Weißt du«, sagte Petra lachend, »ich will mich dort ständig in frischester Erinnerung halten.«
»Den Brief kannst du dir schenken.«
»Was?«
Inge wollte nun nicht mehr lange um die Sache herumreden.
»Oder du schickst ihn besser nicht nach Paris«, sagte sie, »sondern nach Soltau.«
»Wohin?«
»Nach Soltau.«
Verständlich, daß sich Petra fragte, ob ihre Freundin plötzlich übergeschnappt war. Sie hoffte, daß es nicht der Fall wäre. Eine nicht ganz so gravierende Möglichkeit war, daß Inge zu tief ins Glas geguckt hatte.
»Sag mal, hast du einen gezwitschert?« fragte Petra deshalb.
»Nein.«
»Was dann?«
»Gar nichts.«
»Aber warum redest du dann so verworrenes Zeug? Ich frage dich, was hat Soltau mit Paris zu tun?«
»Sehr viel – für dich jedenfalls.«
»Inge«, erklärte Petra jetzt schon ziemlich verärgert, »so geht das nicht. Ich habe nicht umsonst gesagt, daß ich schon halb ausgezogen bin.«
»Petra!«
»Ja?«
»Ich kann's dir nicht ersparen, du mußt mir noch eine Minute lang zuhören.«
»Aber bitte, drück dich wenigstens verständlich aus.«
»Beantworte mir rasch zwei Fragen, Petra: Ist der Mann, der dir aus Paris geschrieben hat, derselbe, mit dem du in letzter Zeit hier in Berlin schon zu tun hattest?«
»Ja, klar!«
»Und er heißt Petermann?«
»Sicher, Peter Mann!«
»Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, Petra. Ich dachte, vielleicht wäre alles nur ein Irrtum, und ich würde jemandem unrecht tun. Aber nein, es steht nun leider hundertprozentig fest, daß du einem Betrüger aufgesessen bist.«
»Einem was?«
»Einem, der es nicht ehrlich mit dir meint. Wie nennt man einen solchen Mann? Einen Betrüger. Er betrügt dich, Petra.«
»Mich?« Mehr vermochte Petra in diesem Augenblick nicht zu antworten.
»Ja.«
»Mit wem?«
Ehe Inge antworten konnte, kam Petra ein gräßlicher Verdacht, der unter Freundinnen nicht einmal so unüblich ist.
»Etwa mit dir?« stieß sie hervor.
»Fast.«
»Was heißt fast? Inge, dann kratz' ich dir die Augen aus!«
»Es besteht kein Anlaß, er hat's zwar wochenlang darauf angelegt, aber ich habe nicht gewollt, Petra.«
In Petras Kopf jagten sich die Gedanken und verhedderten sich hoffnungslos. Alles mögliche fiel ihr ein und geriet ihr durcheinander. War ihr nicht selbst schon einiges komisch vorgekommen? Noch aber klammerte sich Petra an einen Strohhalm. Hatte Peter nicht von einem Freund gesprochen, der hinter Inge her war? Siehst du, dachte sie, ich hätte doch schon längst mit ihr darüber sprechen sollen, sie danach fragen sollen. Aber was tat ich stattdessen? Ich sagte mir: Laß sie selbst davon anfangen. Sie braucht wohl noch Zeit, sich dazu durchzuringen. Diskretion schreibt sie ja groß – im Gegensatz zu mir.
»Petra, bist du noch
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