Ich bin verliebt in deine Stimme
alles nichts, die Leitung blieb tot. Als er dies endlich begriff, fühlte er sich müde und elend. Er war urlaubsreif, spielte mit dem Gedanken, für eine bestimmte Zeit alles hinzuwerfen. Warum eigentlich nicht? fragte er sich. Die Direktrice hat den Laden schon zweimal recht gut geleitet. Nach wenigen Minuten stand sein Entschluß fest: Ich fahre weg. Wohin, sage ich – für den äußersten Notfall – nur meiner Sekretärin. Sie sollen mich alle mal kreuzweise …
Seine Wahl fiel auf Soltau, dieses schöne und damals auch noch verträumte Städtchen am Rande der Lüneburger Heide. Schon einen Tag später hatte er dort ein ruhiges Zimmer in einem kleinen Hotel gefunden, das auf seine Gäste Wert legen mußte und sie deshalb verwöhnte, ohne dies in Aufdringlichkeit ausarten zu lassen. Ralf hätte sich also durchaus wohl fühlen können, und er erhoffte sich, daß er sich erholen und sein seelisches Gleichgewicht wiederfinden würde.
Leider irrte er sich. Das Essen, an dem nicht das geringste auszusetzen war, schmeckte ihm nicht. Das Bier war ihm einmal zu kalt, einmal zu warm. Der Wein, obwohl naturrein, verursachte ihm Sodbrennen. Die Spaziergänge durch die Heide hingen ihm rasch zum Hals heraus. Woran lag's?
Ganz einfach: Seinem Organismus fehlte der wichtigste Bestandteil, das Herz. Es war in Berlin zurückgeblieben.
Petra Martens hatte Post aus Paris bekommen, eine Karte mit einem Gemälde aus dem Louvre: zwei sich küssende Menschen in einer Traumlandschaft. Peter hatte dazu geschrieben:
»Mein Mäuschen!
Daß Du nicht in Paris bist, bedeutet für mich eine Katastrophe, die ich durchstehen muß. Das Alleinsein verleidet mir die ganze Freude an dieser einmalig schönen Stadt. Ich hätte Dich doch von Deinem Fernamt loseisen und hierher mitnehmen sollen. Meine beruflichen Aufgaben lassen mir nicht viel Zeit, ich will mich aber nicht darüber beklagen, da sie mich ein wenig ablenken von der Sehnsucht nach Dir. Liebling, ich kann den Wannsee nicht vergessen, und schon gar nicht die Stunden danach. Mädchen, ich muß aufhören, daran zu denken, sonst wird die Sehnsucht in mir übermächtig. Findest Du, daß ich übertreibe? Entschuldige bitte. Ich liebe Dich eben gewaltig und stelle mir vor, wie wir beide uns küssen, ganz so wie die zwei Glücklichen auf dem Louvre-Gemälde. Es stammt von einem berühmten französischen Impressionisten. Nach meiner Rückkehr werde ich Dir mehr über Malerei erzählen. Das wünschst Du Dir doch immer.
Also dann, vergiß nicht Deinen Verlobten und baldigen Dir versprochenen Ehegatten.«
Petra küßte nach dem Lesen Peters Schriftzüge und nahm die Karte am nächsten Tag mit zum Fernamt, um die Kolleginnen – vor allem jedoch Inge – an ihrem Glück teilhaben zu lassen.
Sie hatte keine Hemmungen, ihnen Peters Liebesschwüre vorzulesen. Besonders diskret war das zwar nicht, aber diese ungenierte Offenheit war Petras Art. Die Kolleginnen kicherten, machten Zwischenbemerkungen, mokierten sich. »Ich kann den Wannsee nicht vergessen, und schon gar nicht die Stunden danach.« Die Belustigung war groß. »Stimmt das?« rief eine Kollegin. »Und wie das stimmt!« verkündete Petra stolz. Das Gelächter gewann homerischen Charakter.
Nur Inge verhielt sich still. Arme Petra, dachte sie. Wie kann man einem Mann nur so auf den Leim kriechen! Eigentlich müßte ich dir die Augen öffnen über diesen Kerl. Einen übleren Schürzenjäger hat doch die Welt noch nicht gesehen.
Aber vielleicht willst du gar nicht, daß man dir die Augen öffnet. Du wärst nicht die erste, der es lieber ist, sich in einer schönen Illusion zu wiegen, als der häßlichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Zuletzt beschimpfst du mich vielleicht noch.
Inge war sich nicht schlüssig, was sie tun sollte. Einerseits fühlte sie die Verpflichtung, die Freundin nicht in ihr Unglück rennen zu lassen, andererseits wollte sie aber auch nicht Gefahr laufen, sich möglicherweise den Schnabel zu verbrennen und dafür etwas, das gar nicht erwünscht war, nämlich alles andere als Dank zu ernten.
Inge entschloß sich, die Sache vorläufig in der Schwebe zu lassen. Sie wollte noch einmal alles in Ruhe überdenken.
Doch da geschah früher als erwartet etwas, das ihr keine Wahl mehr ließ.
Am Abend dieses Tages fand sie nämlich, als sie müde von der Arbeit heimkam und ihr Zimmer in der Pension Moormann betrat, Post, die an sie adressiert war: ein Brief aus Oberstdorf im Allgäu und eine Ansichtskarte aus der
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