Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Und ganz gleich, was man an sich in Frage stellt, es wird sich immer einer finden, der einen in der Überzeugung unterstützt, irgendetwas sei nicht in Ordnung mit einem.
Kommt man beispielsweise eines Tages auf die Idee, das eigene Sexualleben könnte leidenschaftlicher sein, so kann man in eine Buchhandlung gehen und unter Dutzenden von Büchern auswählen, in denen einem Schritt für Schritt erklärt wird, wie man zu einem feurigen Liebhaber beziehungsweise zu einer feurigen Liebhaberin wird.
Glaubt man dagegen, man habe zu viel Sex, wird man genug Leute finden, die nur zu gerne bereit sind, einem dabei zu helfen, sich von seiner Sexsucht zu befreien. Hat man gar keinen Partner, bucht man einen Kurs, in dem einem beigebracht wird, wie man Frauen beziehungsweise Männer um den Verstand bringt.
Findet man sich zu dick, bieten zahlreiche Experten ihre Unterstützung beim Abnehmen an. Ist man jedoch zu dem Entschluss gekommen, man müsse lernen, mehr zu sich selbst und zu seiner runden Figur zu stehen, wird man genug Menschen finden, die das ebenso sehen.
Mitstreiter zu haben, ist schön, währt aber nicht lange: Sobald sich herausstellt, dass man es nicht schafft, ihre Ratschläge und Anweisungen zu befolgen, und das Projekt Selbstveränderung abbrechen muss, werden sie ärgerlich. Und sie werden keine Gelegenheit auslassen, uns unser Versagen unter die Nase zu reiben.
Weil dies ebenfalls ein sogenannter Ratgeber ist, in dem angeblich erklärt wird, wie man sein Leben leichter und schöner gestalten kann, sollte an dieser Stelle eine Anleitung stehen, wie man diesem Dilemma entkommt, also in etwa:
Erklären Sie an sich selbst nichts mehr zum Problem, dann wird alles gut.
Aber natürlich weiß längst jeder, der bis hierhin gelesen hat, dass das Unsinn ist, denn wer sich nicht zum Problem erklärt, bedarf dieses Hinweises nicht, und wer dazu neigt, sich ständig zu problematisieren, wird mit diesem Hinweis dazu aufgefordert, sein Problematisieren zu problematisieren, was sein Leben auch nicht schöner macht.
Sobald ich beschließe, mich zu ändern,
gebe ich meinen Gegnern
tausend Argumente in die Hand.
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Was soll man also tun? Es ist doch nicht alles falsch, was andere Menschen einem raten? Vor Jahren wurde ich Zeugin einer Szene, welche mir diesbezüglich die Augen geöffnet hat. Es war der Moment, in dem ich begriff, dass es nicht darauf ankommt, ob das, was andere Leute sagen, falsch oder richtig ist – man kann ja sogar mit ihnen einer Meinung sein und trotzdem feststellen, dass man an seinem Verhalten nichts ändern kann oder will.
Als ich noch studierte, hatte ich einen Freund, der Mitglied bei Scientology war. Mit ihm besuchte ich mehrere Informationsveranstaltungen – denn ich war neugierig, was denn an der als so dämonisch verschrienen Sekte dran war. Im Großen und Ganzen war es bei Scientology eher langweilig als aufregend, die Psycho- und Persönlichkeitstests, die man machen konnte, erschienen mir nicht wesentlich besser als die, die man aus Frauenzeitschriften kennt. Und als ich sagte, dass ich kein Interesse mehr habe, hat kein Sektenmitglied hinter mir hertelefoniert, um mich zu weiteren Tests oder Kursen zu überreden.
Nur einmal lauschte ich einem Gespräch, das der besagte Freund mit einem anderen Mitglied der Sekte führte. Dieses Mitglied passte ihn ab, als er gerade aus der Teeküche kam, und es war deutlich, dass mein Freund dem Mann im grauen Anzug mit blau-silberner Anstecknadel am liebsten aus dem Weg gegangen wäre.
Ich hörte, wie der Mann im Anzug meinen Freund fragte, warum dieser in letzter Zeit keine Kurse gebucht habe. Der Freund versuchte zu erklären: »Meine Wohnung, das Studium und meine Tochter – es ist alles so teuer, ich habe im Moment kein Geld für die Kurse.«
»Das sind doch Ausreden«, unterbrach ihn der Mann.
»Ja, ich weiß.«
»Gerade, wenn wir in schwierigen Situationen sind, dürfen wir uns nicht gehen lassen. Deine Werte sind auch schlechter geworden.«
»Ich weiß zurzeit nicht, wo mir der Kopf steht. Wenn das Semester vorbei ist, nehme ich die Kurse wieder auf.«
»Heute ist dies und morgen ist das. Wir wollten doch keine Ausreden mehr gelten lassen, warum wir nicht an unseren Zielen arbeiten. Nur Verlierer finden stets Gründe für ihr Versagen.«
Mein Freund sah zu Boden: »Ich weiß ja, dass du recht hast.«
Der Mann im Anzug klopfte ihm auf die Schulter: »Ich bin froh, dass du das einsiehst.«
Es hat keinen Sinn, mit Menschen, die
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