Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Frage ist, welche einen so uncool macht. Man wähnt sich dem Geheimnis der Ausstrahlung nahe: Würde man sich nicht mehr fragen, wie es kommt, dass man so uncool ist, wäre man auch nicht mehr uncool. Jetzt muss man es also nur noch schaffen, damit aufzuhören, darüber nachzudenken, warum man jemand ist, der ständig über sich und seine fehlende Coolness nachdenkt. Dieser Quatsch hört zum Glück nach ein paar Jahren auf.
Sigmund Freud bezeichnete das Gefühl, nicht der »Herr im eigenen Hause« zu sein, als die dritte narzisstische Kränkung der Menschheit. Die Erfahrung, dass das Unbewusste und nicht so sehr das bewusste Ich die Kontrolle über unsere Gedanken und Gefühle hat, setze logischerweise das Selbstwertgefühl herab. Die ersten beiden Menschheitskränkungen waren Freuds Ansicht nach das Heliozentrische Weltbild Nikolaus Kopernikus’ und 350 Jahre später die Erkenntnis Charles Darwins, dass der Mensch eher ein Werk der Evolution denn ein Werk eines Gottes sei.
Die ersten beiden Kränkungen haben Sie doch unbeschadet überstanden, da werden Sie die dritte wohl auch noch verkraften?!
DAS MASS ALLER DINGE –
DAS BIN ICH!
Ich freute mich sehr, als ich endlich meine erste eigene Wohnung hatte, denn die typischen WG-Streitereien um Putzpläne und Kühlschrankfächer waren mir sehr auf die Nerven gegangen. Von unangenehmen Erfahrungen wie der mit meiner zwanghaften Vermieterin ganz zu schweigen. Ich kaufte Gummihandschuhe, Lappen, Schrubber und Desinfektionsmittel und begann erst mal zu putzen. Ich wollte es in meiner eigenen Wohnung ganz sauber haben, auch in den Ecken. Keine Flaschen sollten sich im Flur stapeln, wie in meiner letzten Wohngemeinschaft, wo ich mit vier Männern zusammengewohnt hatte. Kein Schimmel sollte sich im Bad ausbreiten und auf der Ablage keine mit Zahnpasta verkrusteten Zahnbürstensträuße in Gläsern herumstehen. Auch den Abwasch würde ich nicht tagelang stehen lassen und die Kalkflecken regelmäßig von den Kacheln wischen. Als ich auf Knien im Flur lag und die Ecke hinter der Tür mit einer Bürste schrubbte, kam mir auf einmal der Gedanke, dass ich vielleicht zu gründlich putzte und drauf und dran war, so putzsüchtig zu werden wie meine ehemalige Vermieterin. Ich kniete in der Ecke und wusste nicht, wie ich weitermachen sollte. Setzte ich meine Reinigungsorgie in dieser Ecke fort, wie ich es vorgehabt hatte, putzte ich womöglich gründlicher als nötig und verplemperte meine kostbare Jugend. Putzte ich nur oberflächlich, wäre die Wohnung schmutziger, als es mir angenehm wäre, zumal ich die vor Dreck starrende Ecke nun aus nächster Nähe gesehen hatte und ihre Existenz nicht mehr ignorieren konnte. Ich überlegte mir einen Kompromiss: Ich würde die Ecke nur ein bisschen putzen, aber gleich darauf war mir klar, dass dies auch keine Lösung des Dilemmas war, denn ab welchem Punkt sollte ich damit aufhören?
Wann hatte ich den Punkt überschritten, an dem aus ein bisschen zu viel wird? Wie konnte ich herausfinden, ob mein Bedürfnis nach Sauberkeit und Hygiene noch normal oder schon krankhaft war?
Wen sollte ich fragen, ob in meiner Wohnung angemessene oder übertriebene Sauberkeit herrschte? Fragt man fünf Freunde, wird man fünf unterschiedliche Antworten erhalten. Jeder hat vernünftige Argumente für seine Meinung: Was für den einen noch akzeptabel ist, findet der andere unzumutbar, wo der eine keinen Schmutz sieht, kann der andere vor Ekel kaum essen. Bei dem einen wiegt die Bequemlichkeit mehr als die Hygiene (es gibt Wichtigeres, als zu putzen), bei dem anderen ist es genau andersherum (schlampig zu putzen, ist eine Lieblosigkeit gegen sich selbst).
Es gibt Publikationen, die einen über die »richtige« Haushaltsführung aufklären, in denen könnte man nachschlagen, was die Autoren als angemessen empfinden. Es gibt Bücher für Menschen, die in diesem Punkt unter Perfektionismus leiden, und dann natürlich auch Bücher für Leute, denen das Putzen und Aufräumen schwerfällt. Zu welcher Sorte Mensch gehörte ich?
Das Maß aller Dinge könnten die eigenen Bedürfnisse sein, aber denen gegenüber ist man misstrauisch geworden, weil man plötzlich ein Selbstbild vor Augen hat, nach dem man sich gerne formen würde (beziehungsweise ein abschreckendes Beispiel, welches man unbedingt vermeiden möchte). Das ist der Punkt, an dem man abhängig wird von der Meinung anderer. Denn nun müssen andere Menschen kommen und einen darüber aufklären, was richtig ist.
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