Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Männer sich traditionell nicht für Beziehungsfragen zuständig fühlen. Endlich haben sie eine Erklärung für das Chaos in ihren Beziehungen zu anderen Menschen gefunden, schreiben sie dann in Leserbriefen und Internetforen. Der Beitrag habe ihnen geholfen, die wahren Zusammenhänge hinter einer Zurückweisung oder einem Missverständnis zu verstehen.
Durch stetige Wiederholung werden diese Thesen immer bekannter. Aber nur, weil sie vertraut klingen, müssen sie nicht wahr sein. Werfen wir einen analytischen Blick auf eine dieser Pseudoerkenntnisse:
Schlagen Sie eine beliebige Frauenzeitschrift auf, und suchen Sie einen Artikel nach dem Motto »Geraten Sie auch immer wieder an den Falschen?«. Es gibt kaum eine Ausgabe, die sich nicht dieser Frage widmet.
In diesen Artikeln erklärt man Ihnen, dass es eventuell nicht nur mit Pech zu tun hat, wenn Sie sich immer wieder in Männer verlieben, die sich Ihnen entziehen oder mit denen sich das Zusammensein nach dem ersten Höhenflug unerfreulich gestaltet. Es ist gut möglich, so der zitierte Experte, dass ein Kindheitsmuster, welches Ihnen bis dato nicht bewusst war, schuld an Ihren zahlreichen Beziehungskatastrophen ist.
Anschließend klärt man Sie darüber auf, wie Sie Ihr Muster erkennen und auflösen können. Mit anderen Worten, wie Sie mit der Aufarbeitung Ihrer Vergangenheit verhindern, dass eine Beziehung nach der anderen scheitert, und somit die echte und erfüllende Liebe in Ihrem Leben endlich Wirklichkeit wird.
In diesen Artikeln wird übrigens stets etwas vorausgesetzt, was die meisten von uns so nicht erleben: Ich kenne jedenfalls wenige, die so viele Beziehungskatastrophen hinter sich haben, dass man daraus ein Muster ablesen könnte, aber da man als moderne Frau offensichtlich eine Beziehung nach der anderen hat, muss mit mir, die ich Schwierigkeiten habe, überhaupt erst einmal einen Partner zu finden, etwas nicht stimmen. Weil man meint, dass das eigene Leben aber diesem Mythos entspricht oder doch zumindest entsprechen sollte, liest man weiter und erfährt: Die Männer, die man sich immer wieder erwählt, mögen äußerlich sehr verschieden sein, aber eines haben sie gemeinsam: Sie werden von der geheimen Kraft des unbewussten Kindheitsmusters angezogen. Wie ein Schlüssel zum Schloss passen sie zu dem Problem, mit dem man schon seit seiner Kindheit kämpft, ohne dass sich etwas ändert.
Ob man sich den gut aussehenden Macho, den seriösen Geschäftsmann oder den jungenhaften ewigen Studenten ins Bett holt – stets geht es darum, ein unbearbeitetes Drama zu wiederholen, also neu zu inszenieren, selbst wenn man darunter leidet.
Tausende und Abertausende Frauen erkennen sich in solchen Beschreibungen wieder. Kaum eine Frau, die über ihren Zwang zur Wiederholung nicht mit einer ihrer Freundinnen gesprochen hat. Mütter beichten »es« ihren Töchtern und andersherum, Kolleginnen sprechen darüber beim gemeinsamen Mittagessen, Therapeuten erklären es ihren Patientinnen, Journalistinnen schreiben über diese unheimlichen Zusammenhänge Artikel und garnieren sie mit Fallbeispielen aus ihrem Bekanntenkreis: Ein Muster, gespeist aus unserer unglücklichen Kindheit, bestimmt unser Verhalten in der Gegenwart und lässt uns wie fremdgesteuert aus Hunderten von netten, beziehungsfähigen und großzügigen Männern um uns herum, die uns achten, lieben und auf Händen tragen würden, den einen , völlig gestörten und ich-bezogenen Idioten auswählen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit picken wir uns immer und immer wieder – also so ungefähr drei bis acht Mal im Leben – den Mann mit den meisten Minderwertigkeitskomplexen heraus und lassen die selbstsicheren und souveränen Typen links liegen.
Es irritiert die Leserinnen solcher Artikel nicht, dass ihre Freundinnen in der Regel Partner haben, die auch nicht besser sind und die meisten Single-Frauen darüber klagen, dass sie selten Männer kennenlernen, die ihnen richtig gut gefallen. Die Freundinnen der Leserinnen werden eben auch von ihren unguten Kindheitsmustern verfolgt.
Wenn sie es schaffen könnten, ihr Kindheitsmuster loszuwerden, dann wäre ihre unmittelbare Umgebung von ihrem Bann erlöst, und andere Männer könnten ihnen näherkommen. Und sie würden diese Männer mit einem Mal erkennen und somit der »echten Liebe« endlich eine Chance geben.
Die Frauen arbeiten also an sich und ihrer Ausstrahlung, weil ihnen die Charaktereigenschaften und das Verhalten von Männern nicht gefallen.
Weitere Kostenlose Bücher