Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Programmierung . Vor einiger Zeit wurde auch ich eingeladen, die sensationellen Erfolge, die man mit NLP erzielen kann, live zu erleben. Auf einer Bühne warb der NLP -Berater um Freiwillige, an denen er demonstrieren wollte, wie man seine drängendsten Probleme in nur fünfzehn Minuten loswerden könne. Alles, was er dazu brauchte, war ein Bürostuhl auf Rollen. Ein Dutzend Personen meldete sich, und ich und circa hundert andere Leute sahen die nächsten zwei Stunden dabei zu, wie sich einer nach dem anderen auf den Bürostuhl setzte, wo er auf Geheiß des Beraters seine Augen schloss und möglichst tief in sein Problem hineinfühlte. Wenn er das Gefühl hatte, dass sein Schmerz über das Problem am intensivsten sei, sollte er seinen rechten Zeigefinger heben. Schluchzend hoben sie ihre Zeigefinger und wurden daraufhin auf dem Bürostuhl herumgewirbelt. Der Berater erklärte, dass er die Probanden auf diese Weise aus ihrem Problem herausdrehe. »Stell dir vor, ich drehe dich jetzt nach oben aus diesem Konflikt heraus, und wenn du von diesem Stuhl aufstehst und weggehst, wirst du nie wieder damit zu tun haben«, rief er.
Anschließend standen die Leute auf der Bühne und gestanden mit rauer Stimme, dass sie solches noch nie erlebt hätten und wie dankbar sie seien, dass ihr Problem, welches sie für unlösbar gehalten hatten, nun von ihnen genommen sei.
Ich habe damals beschlossen, dass es für mich im Leben Wichtigeres gibt als Fortschritt, Glück und Zufriedenheit. Nämlich, mich vor fremden Leuten nicht zum Affen zu machen.
30 JAHRE LANG HABE ICH ES VERSUCHT
Wer könnte einem besser sagen, ob Selbstverbesserung möglich ist, als Menschen, die es schon lange versuchen. Daher habe ich einige über Sechzigjährige dazu befragt, ob es etwas gibt, was sie schon immer an sich ändern wollten und wann der Moment kam, an dem sie es aufgegeben haben.
Claudia, 67 Jahre, Germanistin und Dozentin für »Deutsch als Fremdsprache«, lebt in Köln
»Ich wollte immer ordentlich und bürgerlich leben und mit einem Mann zusammen sein, dem es wirtschaftlich gut geht. Mein Exfreund sagte, um einen solchen Mann kennenzulernen, müsste ich netter sein, mich nicht immer über die Männer lustig machen, denn das mögen sie nicht. Meine Freundin empfahl mir, mich schöner und verführerischer zu kleiden. Ich habe beides versucht, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte; ich wusste auch nicht, wie lange ich das durchhalten würde, mich derart zu verstellen. Einen Tag, zwei Tage? Länger geht das doch nicht. Die Vorstellung, diese Maskerade eine ganze Ehe lang durchzuhalten, ist grauenhaft. Irgendwo muss man doch ungehemmt sein dürfen und nicht überlegen müssen, was man sagt und tut – und wo soll das sein, wenn nicht zu Hause?
Aber abgesehen davon hätte das sowieso nicht geklappt, denn ich habe etwas an mir, dass diese Sorte Männer abschreckt: Die riechen das, dass das mit uns nicht passt, da kann ich freundlich sein und schöne Kleider tragen, wie ich will.
Inzwischen weiß ich durch meine Freundinnen, wie es ist, eine solche Ehe zu führen, sprich, sich in sogenannten besseren Kreisen zu bewegen – und ich bin froh, dass mir das erspart geblieben ist.«
Sybille, 73 Jahre alt, ehemalige Journalistin, lebt in Frankfurt
»Mein Leben lang habe ich versucht, weniger zu reden. Meine Eltern haben mich richtig aufgezogen, weil ich schon als Kind sehr gesprächig war. ›Du redest wie ein Wasserfall‹, hieß es, oder: ›Kann man das irgendwo abstellen?‹. Ständig war es Thema, dass ich ihrer Meinung nach zu viel sprach. Ich bewunderte Leute, die es schafften, auf einem Abendessen oder einer Party am Rand zu sitzen und den ganzen Abend keine zwei Worte zu sagen. Stille Wasser sind tief, heißt es, und auch ich war davon überzeugt, dass diese Menschen besonders geheimnisvoll und tiefsinnig sind, und wenn sie sich äußerten, dann musste man genau hinhören, denn bestimmt war alles, was sie von sich gaben, von ausgesuchter Weisheit.
Besonders schlimm war natürlich, dass ich als Mädchen so viel redete, denn Frauen, die ständig schnattern müssen (der Wortlaut meines Vaters), sind ungefähr das Unsexieste, was es gibt. Ich wollte feminin und begehrenswert sein und nahm mir daher als Jugendliche einmal vor, eine Woche lang gar nichts zu sagen, nicht einmal in der Schule, mich also nur im äußersten Notfall zu äußern. Keine zwei Tage habe ich es durchgehalten, was mich sehr unglücklich gemacht hat.
Inzwischen habe ich
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