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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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Im 18. Jahrhundert hat der Profi den Amateur beneidet, denn was der geschulte Profi tun musste, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, konnte der Amateur zu seiner eigenen Erbauung betreiben. Man erfand ein Wort für diese glücklichen Menschen, die eine Sache um ihrer selbst willen ausübten, wann immer es ihnen danach war. Man nannte sie Dilettanten. Dilettant kommt von diletare – italienisch für »sich erfreuen« – und war nicht abwertend gemeint.
    Man war sich früher also bewusst, dass nur ein Dilettant sich selbst verwirklichen kann. Weil er musizieren, tanzen, dichten, schauspielern, malen und philosophieren darf, wann immer er Lust dazu hat. Ein Dilettant kann sich ausprobieren. Niemand empört sich, wenn er Freunden ein Musikstück nicht ganz perfekt vorspielt, in einem Theaterstück den schlampig eingeübten Text vergisst oder hübsche, konventionelle Aquarelle malt. Er darf auch ein Werk für fertig erklären, welches eigentlich noch der Verbesserung bedarf, kann improvisieren, um seine Schwächen zu verbergen, schiefe Reime dichten, singen, ohne Noten zu lesen, und vor allen Dingen Tennisschläger oder Geige Monate lang liegen lassen, weil es gerade Wichtigeres zu tun gibt.
Wer Profi wird, ist selber schuld.
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    Der Dilettantismus ist der Ausweg aus dem Zwang zum Extremen. Nur er garantiert ein erfülltes und abwechslungsreiches Leben. Als Dilettant entzieht man sich dem Phänomen, dass in unserer Leistungsgesellschaft jede freiwillige Wahl in Fremdbestimmung mündet. Kaum hat man irgendein Talent an sich entdeckt, keimt die Möglichkeit auf, »etwas daraus zu machen« – was unausweichlich zur Folge hat, dass man sich in ein Korsett aus Lernen, Üben und Trainieren einsperren muss. Was einmal Spaß gemacht hat, wird zur Pflicht, und vor Pflichten – das ist eine ganz normale psychische Reaktion – muss man sich drücken.
    Wer etwas erreichen will, ist unfrei. Er ist abhängig von seiner eigenen Leistung, von seinem Publikum und von der Gunst des Zufalls. Und er muss sich ständig darum sorgen, dass die einmal erreichte Position nicht wieder verloren geht. Wer einigermaßen souverän ist, macht dieses Affentheater nicht mit.
Souveräne brauchen weder Beifall
noch Zustimmung.
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    Ein Nachteil der dilettantischen Lebensweise ist jedoch nicht von der Hand zu weisen: Man ist zwar frei, wenn man sich nicht zum Sklaven seiner Karriereabsichten macht, aber es besteht wenig Aussicht darauf, reich und/oder berühmt zu werden. Ein freier Mensch muss womöglich fern vom Licht der Öffentlichkeit sein Dasein fristen. Dessen Äußerungen werden weder in Politsendungen noch in den Feuilletons diskutiert, weil er nichts Besonderes und Außergewöhnliches zum gesellschaftlichen Leben beiträgt.
    Wer will frei sein, wenn man mitsamt der schönen Freiheit in der Bedeutungslosigkeit versinkt? Es gibt ja auch keiner das Vorhaben auf, viel Geld zu verdienen, wenn er erfährt, dass laut Untersuchungen ein hohes Einkommen nicht glücklicher macht. Dazu bemerkte der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Professor Bruno S. Frey, der den Zusammenhang zwischen Geld und Glück untersuchte, dass es sich eben im Taxi bequemer weint als in der U-Bahn. Hätte man die Wahl, wäre man lieber berühmt und würde sich in der Öffentlichkeit über die mit dem Berühmtsein verbundenen Unfreiheiten beklagen, als allein und frei auf seinem Sofa zu sitzen und sich darüber zu grämen, dass man nicht berühmt ist.
    Man sollte aber bedenken, dass der Preis der Freiheit auch dann bezahlt werden muss, wenn es nicht klappt mit der Karriere. Dann steht dieser Preis in keinem Verhältnis mehr zum Resultat.
AB WANN SICH EINE KARRIERE NICHT MEHR LOHNT – DIE SPIELTHEORIE GIBT ANTWORT
    Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Christian Rieck beschreibt mit Hilfe der Spieltheorie die strategische Besonderheit einer Chefarztkarriere. Um überhaupt erst einmal Arzt zu werden, muss man ein sehr anstrengendes und langweiliges Studium absolvieren. Um für dieses Studium zugelassen zu werden, muss man einer der besten Schüler gewesen sein oder lange auf den Studienplatz warten. Anschließend arbeitet man spielend 70 Stunden in der Woche, erst als Assistenzarzt für ein Praktikumssalär und später für ein Gehalt, welches heutzutage kaum mehr ausreicht, um ein kleines Haus zu kaufen. Und das alles in unwürdigen hierarchischen Strukturen. Christian Rieck suchte nach einer Erklärung, wieso es trotzdem Menschen gibt, die dies alles in Kauf nehmen,

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