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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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vielfach beschworen, das ändert nichts daran, dass das Genie ein Sonderfall ist. Betrachtet man genauer, wie geniale Höchstleistungen zustande kommen, wird man feststellen, dass oft viel Quälerei und Leid dahinterstecken. Und nicht jeder, der Geniales leistet, handelt aus eigenem Antrieb. Michael Jackson hat dank des brutalen Drills seines Vaters Joseph Weltkarriere gemacht, aber Spaß hat er dabei nicht gehabt. Die Strafen und Schläge seines Vaters bescherten ihm noch als Erwachsenem Panikattacken und Depressionen.
Wenn Sie sich schon quälen, dann machen
Sie sich keine Vorwürfe, dass Ihnen die
Quälerei keinen Spaß macht.
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    Amy Chua schreibt zu Recht, dass Kinder von allein nicht über ihre Grenzen hinausgehen würden. Man muss sie dazu antreiben. Ehrgeiz und Disziplin müssen Kinder beigebracht bekommen. In einem Punkt ist sie fairer ihren Kindern gegenüber als viele andere Eltern. Amy Chua verlangt von ihren Kindern nicht, so zu tun, als würden sie das, wozu sie gerade gezwungen werden, aus reiner Lebensfreude machen. Sie müssen ihr nicht vorgaukeln, dass sie völlig spielerisch und selbstvergessen tanzen, malen, dichten, musizieren und mehrere Fremdsprachen lernen.
    Die Empörung über die Tiger-Mutter Amy Chua ist groß. Denn sie hat ein Manifest gegen die Verlogenheit unserer Gesellschaft geschrieben. Manch ein Erwachsener projiziert auf seine Kinder den Wahn, Kinder würden Arbeit nicht als das empfinden, was sie ist – und er, der Erwachsene, könne sich, wenn er nur seine seelische Blockade auflöst, wieder in diesen angeblich ursprünglichen Zustand zurückversetzen. Die Yale-Professorin glaubt solchen Unsinn nicht und sagt klipp und klar, dass es Kindern unangenehm ist, wenn sie hart arbeiten müssen. Aber man müsse sich über deren Widerstände hinwegsetzen, wenn man will, dass sie Besonderes leisten. Ihre Töchter leiden nicht unter Schuldgefühlen, wenn sie nur widerwillig um fünf Uhr morgens den Geigenbogen in die Hand nehmen, um noch vor Schulbeginn eine Stunde zu üben. Sie wissen, auf welcher Seite der Front sie stehen. Sie fühlen sich erst wieder frei und lebendig, wenn sie gegen ihre Mutter revoltieren, den Geigenbogen hinwerfen und schreien: Ich will nicht mehr! Echte Lebensfreude durchströmt einen eben immer erst dann, wenn man seine Ketten sprengt. Deswegen ist die Lektion, die man dabei lernt, wichtiger als jede Karriere oder Kunst der Welt.
Das Leben fängt an, Spaß zu machen, wenn ich schreie: Das will ich nicht mehr!
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    Doch leider können viele Menschen ihre Ketten nicht abwerfen, weil sie ihre Ketten nicht mehr erkennen. In Umfragen antworten viele Menschen auf die Frage, was sie lieber heute als morgen an sich ändern würden, sie hätten gerne mehr Durchhaltevermögen. Auf der Webseite der Kreiszeitung Chili, auf der sich Teenager austauschen, steht in jedem zweiten Kommentar, dass der Schreiber sich wünschte, er wäre disziplinierter und fleißiger und könne Angefangenes besser durchhalten. Mit anderen Worten: Viele empfinden Schuld, weil sie ganz normale, menschliche Bedürfnisse haben. Und wer auf seine normalen Bedürfnisse hört, kann sich offensichtlich gleich abschreiben, denn er scheint heutigen Ansprüchen nicht mehr zu genügen.
    Einmal war ich auf einer Veranstaltung, zu der der Berliner Bürgermeister Wowereit sogenannte Kreative geladen hatte, um mit ihnen über die Chancen und Probleme des Standorts Berlin zu diskutieren. Ein bekannter Berliner Modedesigner saß auf dem Podium und beschrieb seinen beruflichen Werdegang: dass er jahrelang von sieben Uhr morgens bis lange nach Mitternacht gearbeitet habe, um dahin zu kommen, wo er jetzt sei. Niemand fragte ihn, ob er nicht übertreibe. Keiner wollte wissen, ob diese relativ entspannte Podiumsdiskussion mit anschließendem Stehimbiss zu seiner Arbeit gehörte oder eher der Freizeit zuzurechnen sei. Er war schließlich eingeladen worden, um die Auffassung verbreiten zu helfen, dass man eben auch als Kreativer zwölf Stunden und mehr am Tag arbeiten müsse, um etwas zu erreichen. Wer weniger arbeite, der habe den Erfolg nicht verdient. (Und Künstler, die nicht von morgens bis spät in die Nacht schuften und daher an ihrer prekären Situation selbst schuld sind, die will auch der Bürgermeister von Berlin nicht mehr unterstützen – das wurde den Anwesenden unmissverständlich klargemacht.)
    Im 18. Jahrhundert hat man nicht ständig angegeben, dass man siebzig Stunden oder mehr in der Woche arbeitet.

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