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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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etwas anderes zu tun, nicht ohne sie zu ermahnen, dass sie das, wofür sie sich entschieden hätte, auch durchziehen müsse. Denn noch einmal würde sie ihr nicht durchgehen lassen, alles hinzuwerfen. Die Tochter wählte Tennis. Ihrer Mutter war es egal, denn sie sah sich bereits gescheitert: Wer erst mit vierzehn Jahren anfängt, Tennis zu spielen, wird keine Weltkarriere mehr machen.
    Der Tennislehrer berichtete kurze Zeit später, dass er selten eine Schülerin erlebt habe, die so hart und ehrgeizig trainiere – und das, obwohl die Tochter wusste, dass sie auch mit dem härtesten Training kein Profi mehr werden würde.
    Amy Chua bekennt mit ihrem Buch Die Mutter des Erfolgs, dass sie eine Tätigkeit nur dann als sinnvoll erlebt, wenn man sie sehr gut macht und sich daraus ein Nutzen ziehen lässt. Viele Menschen sind empört, dass jemand diese Einstellung völlig unkritisch an seine Kinder weitervermittelt, sogar dann, wenn diese unter einer solchen Erziehung leiden. Trotz der Empörung ist das Buch sowohl in den USA als auch in Deutschland ein Bestseller. Einige haben es sicher aus einem Schuldgefühl heraus gekauft: weil sie nicht alles aus sich und ihren Kindern herausholen, suchen sie in diesem Buch nach dem tröstenden Beweis, dass Drill und Disziplin zwar erfolgreich, aber unglücklich machen. Andere hoffen, in diesem Buch ein Rezept dafür zu finden, wie man die Leistungen seiner Kinder verbessert.
    Dass viele Menschen insgeheim das Gleiche empfinden wie Amy Chua, selbst wenn sie das Gegenteil behaupten, ist offensichtlich. Die Auffassung darüber, was eine sinnvolle Tätigkeit ist und was nicht, lässt sich gerade in der Kindererziehung ablesen. So sind beispielsweise im kinderreichen Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg die Musikschulen ausgebucht. Kaum ein Elternpaar, welches seine Kinder nicht zum Musikunterricht schickt. Doch trotzdem wird man nie zu einem Hausmusikabend eingeladen. Die meisten Eltern, so eine Musiklehrerin der Musikschule »Takt und Ton«, könnten ihren Kindern nicht einmal beim Üben helfen, da sie selbst gar keine Noten lesen können. Kinder werden von ihren Eltern nicht angehalten, ein Musikinstrument zu lernen, weil die Eltern Musik lieben und gemeinsam mit den Kindern musizieren möchten, sondern weil man kein Talent des Kindes unentdeckt lassen will. Stellt sich nach mehrjährigem Klavier- oder Tanzunterricht heraus, dass das Kind unbegabt ist, ärgern sich die Eltern: Wenn sie das gewusst hätten, hätten sie ihr Kind angehalten, die wertvolle Zeit in etwas anderes zu investieren.
Aus jeder Lebensäußerung des Kindes
soll ein Gewinn geschlagen werden.
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    Das Schlimmste an dem allgegenwärtigen Zwang zur Höchstleistung ist, dass er mit einer weiteren Anforderung verknüpft wird, die kaum ein Mensch erfüllen kann: Man soll, während man sein Bestes gibt, Begeisterung und Spaß empfinden. Denn – und das ist das Perfide an dieser Forderung – nur mit Spaß an der Sache lassen sich Höchstleistungen erzielen.
    Dabei weiß jeder, dass es keine Freude macht, tagein, tagaus das Gleiche zu tun. Von jemandem zu erwarten, dass er seine Begeisterung über lange Jahre für ein und dieselbe Sache aufrechterhält, ist unmenschlich. Es ist sogar die beste Methode, die Begeisterung eines Menschen für eine Sache zu zerstören, indem man ihn zwingt, sich länger mit ihr zu beschäftigen, als er Lust dazu hat.
Spaß und Höchstleistungen schließen
sich aus.
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    Es gibt Genies, die ihr Leben freiwillig und sogar gegen den Widerstand der Umgebung einer einzigen Sache widmen. Künstler, die zwölf oder mehr Stunden am Tag malen oder Klavier spielen, obwohl Eltern, Lehrer, Freunde die Hände über den Kopf zusammenschlagen, weil sie wollen, dass der Künstler Rechtsanwalt oder Ingenieur wird. Selbst harte Strafen halten das Künstlergenie nicht ab, seiner Leidenschaft zu frönen. Für ihre Sache gehen sie bis an ihre physischen und psychischen Grenzen. Und sogar darüber hinaus. Solche Menschen soll es geben.
    Der Rest der Menschheit empfindet den Zwang zu Spezialistentum und Höchstleistung als quälend. Wer kein Genie oder Autist ist, oder beides, hat nach zwei Stunden Geigeüben oder Tennisspielen keine Lust mehr. Der hat Hunger und Durst und muss aufs Klo. Normale Menschen wollen, nachdem sie sich eine Weile angestrengt haben, mit einem Freund telefonieren, ein YouTube-Filmchen anschauen oder in der Sonne Kaffee trinken.
    Der Mythos des Genies wird in der Literatur und der Kunst

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