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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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führen. Es musste schmerzhaft werden, etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Ich machte mich auf eine weitere emotionslose Aufforderung gefasst, eine Nachricht zu hinterlassen.
    Ein Klicken. Dann eine Stimme. »Hallo?«
    Es war Claire. Das wusste ich sofort. Ihre Stimme war mir so vertraut wie meine eigene. »Hallo?«, sagte sie wieder.
    Ich sagte nichts. Bilder strömten auf mich ein, blitzten vor meinem inneren Auge auf. Ich sah ihr Gesicht, das Haar kurz geschnitten, eine Baskenmütze auf dem Kopf. Lachend. Ich sah sie auf einer Hochzeit – meiner eigenen, vermute ich, obwohl ich nicht sicher bin –, wie sie, smaragdgrün gekleidet, Champagner einschenkte. Ich sah sie mit einem Baby auf dem Arm, wie sie es mir brachte und mit den Worten
Essenszeit!
überreichte. Ich sah sie auf der Kante eines Bettes sitzen, mit der Gestalt reden, die darin lag, und erkannte, dass ich diese Gestalt war.
    »Claire?«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie. »Hallo? Wer ist denn da?«
    Ich versuchte, mich zu konzentrieren, mir klarzumachen, dass wir einmal beste Freundinnen gewesen waren, ganz gleich, was in den Jahren seitdem geschehen war. Ich sah ein Bild von ihr, wie sie auf meinem Bett lag, in der Hand eine Flasche Wodka, und mir kichernd erklärte, dass Männer
einfach lächerlich
waren.
    »Claire?«, sagte ich. »Ich bin’s, Christine.«
    Schweigen. Die Zeit zog sich in die Länge, eine Ewigkeit. Ich dachte schon, sie würde nichts sagen, sie hätte vergessen, wer ich war, oder wollte nicht mit mir reden. Ich schloss die Augen.
    »Chrissy!«, sagte sie. Eine Explosion. Ich hörte sie schlucken, als wäre sie beim Essen. »Chrissy! Mein Gott, bist du das wirklich?«
    Ich öffnete die Augen. Eine Träne suchte sich langsam einen Weg über die unvertrauten Linien meines Gesichts.
    »Claire?«, sagte ich. »Ja. Ich bin’s. Chrissy.«
    »Mein Gott. Verdammt«, sagte sie und dann wieder: »Verdammt«, mit leiser Stimme. »Roger! Rog! Das ist Chrissy! Am Telefon!« Plötzlich laut, sagte sie: »Wie geht’s dir? Wo bist du?«, und dann: »Roger!«
    »Oh, ich bin zu Hause«, sagte ich.
    »Zu Hause?«
    »Ja.«
    »Bei Ben?«
    Ich schaltete auf Verteidigung. »Ja«, sagte ich. »Bei Ben. Hast du meine Nachricht abgehört?«
    Ich hörte ein lautes Einatmen. Überraschung? Oder rauchte sie? »Ja klar!«, sagte sie. »Ich hätte dich auch zurückgerufen, aber das hier ist ein Festnetzanschluss ohne Nummernerkennung und du hast keine Nummer hinterlassen.« Sie zögerte, und einen Moment lang fragte ich mich, ob das wirklich stimmte oder ob sie aus anderen Gründen nicht zurückgerufen hatte. Sie sprach weiter. »Egal. Wie geht’s dir, Süße? Es tut so gut, deine Stimme zu hören!« Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, und als ich nichts sagte, fragte Claire: »Wo wohnst du?«
    »Das weiß ich nicht genau«, sagte ich. Ich spürte Freude in mir aufsteigen, schloss aus ihrer Frage, dass sie sich nicht mit Ben traf, um gleich darauf zu denken, dass sie das vielleicht nur fragte, damit ich keinen Verdacht schöpfte. Ich wollte ihr so gern vertrauen – wissen, dass Ben mich nicht verlassen hatte, weil er bei ihr etwas gefunden hatte, eine Liebe als Ersatz für die, die mir weggenommen worden war –, denn ihr zu vertrauen hieße, auch meinem Mann vertrauen zu können. »Crouch End?«, sagte ich.
    »Okay«, sagte sie. »Und, wie geht’s? Wie läuft’s bei dir so?«
    »Tja, wenn ich das mal wüsste«, sagte ich. »Ich kann’s mir ums Verrecken nicht merken.«
    Wir lachten beide. Wie gut das tat, dieser Ausbruch eines Gefühls, das nicht Kummer war, aber er währte nur kurz, dann folgte Schweigen.
    »Du klingst gut«, sagte sie nach einer Weile. »Richtig gut.« Ich sagte ihr, ich würde wieder schreiben. »Ehrlich? Toll. Super. Woran arbeitest du? An einem Roman?«
    »Nein«, sagte ich. »Ein Roman wäre ein bisschen schwierig, wenn ich mich von einem Tag zum anderen an nichts mehr erinnern kann.« Schweigen. »Ich schreibe bloß auf, was mir so alles passiert.«
    »Okay«, sagte sie, dann nichts. Ich fragte mich, ob sie meine Situation vielleicht nicht richtig erfasste, und störte mich an ihrem Tonfall. Er klang unterkühlt. Ich fragte mich, wie unser Verhältnis gewesen war, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. »Und, was passiert dir so alles?«, fragte sie dann.
    Was sollte ich antworten? Ich spürte den Drang, ihr mein Tagebuch zu zeigen, es ihr zum Lesen zu geben, aber das konnte ich natürlich nicht. Zumindest

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