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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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draußen, ins Freie.
    Aber natürlich würden sie dann denken, ich wäre verrückt geworden. Sie würden mich suchen und zurückholen. Und was könnte ich ihnen sagen? Dass die Frau, die sich an nichts erinnert, ein ungutes Gefühl hatte, eine dunkle Ahnung? Sie würden mich lächerlich finden.
    Ich bin mit meinem Mann zusammen. Ich bin hergekommen, um ihm wieder nah zu sein. Bei Ben bin ich sicher.
    Also schalte ich das Licht ein.
    Es wird gleißend hell, und dann, als meine Augen sich angepasst haben, sehe ich das Zimmer. Es ist unscheinbar. Da ist nichts, wovor ich Angst haben müsste. Der Teppichboden ist mausgrau, sowohl die Vorhänge als auch die Tapeten haben ein Blumenmuster, passen aber trotzdem nicht zusammen. Die zerschrammte Frisierkommode hat drei Spiegel, darüber hängt ein vergilbtes Gemälde von einem Vogel. Der Sessel ist aus Korb und hat ein geblümtes Sitzkissen, und auf dem Bett liegt eine orangefarbene Tagesdecke mit Rautenmuster gebreitet.
    Ich kann mir vorstellen, wie enttäuscht jemand sein muss, der dieses Zimmer für einen Urlaub gebucht hat, doch obwohl Ben es für unser Wochenende gebucht hat, empfinde ich keine Enttäuschung. Meine Furcht hat sich zu Grauen verdichtet.
    Ich schließe die Tür hinter mir und versuche, mich zu beruhigen. Ich verhalte mich albern. Paranoid. Ich muss mich beschäftigen. Irgendetwas tun.
    Es ist kalt im Zimmer, und ein leichter Luftzug bewegt die Vorhänge. Das Fenster steht offen, und ich gehe hin, um es zu schließen. Bevor ich das tue, werfe ich einen Blick nach draußen. Wir sind sehr hoch; die Straßenlampen, auf denen still Möwen hocken, sind weit unter uns. Ich schaue über die Dächer, sehe den kalten Mond am Himmel hängen, in der Ferne das Meer. Ich kann den Pier erkennen, die Riesenrutsche, die blinkenden Lichter.
    Und dann sehe ich ihn, den Schriftzug über dem Eingang zum Pier.
    BRIGHTON PIER
.
    Trotz der Kälte spüre ich, wie mir Schweißperlen auf die Stirn treten, obwohl ich gleichzeitig fröstele. Jetzt wird mir alles klar. Ben hat mich nach Brighton gebracht, an den Ort, wo mein Verhängnis seinen Lauf nahm. Aber warum? Glaubt er, ich könnte mich eher daran erinnern, was passiert ist, wenn ich wieder in der Stadt bin, in der mir mein Leben geraubt wurde? Glaubt er, ich werde mich daran erinnern, wer mir das angetan hat?
    Ich erinnere mich, in meinem Tagebuch gelesen zu haben, dass Dr. Nash einmal vorgeschlagen hat, mit mir hierherzufahren, und dass ich kategorisch abgelehnt habe.
    Ich höre Schritte auf der Treppe, Stimmen. Bestimmt führt der große Mann jetzt Ben nach oben, zu unserem Zimmer. Sie tragen wahrscheinlich zusammen das Gepäck, schleppen es die Treppe herauf und um enge Absätze herum. Bald werden sie hier sein.
    Was soll ich ihm sagen? Dass er sich täuscht, dass es mir nicht helfen wird, hier in der Stadt zu sein? Dass ich nach Hause will?
    Ich wende mich zur Tür. Ich werde ihm helfen, die Taschen hereinzutragen, und dann werde ich sie auspacken, und wir werden schlafen und morgen dann –
    Ich stocke. Morgen werde ich nichts mehr wissen. Ich ahne, was Ben in seiner Ledertasche hat. Fotos. Das Sammelalbum. Er wird das alles brauchen, um mir erneut zu erklären, wer er ist und wo wir sind.
    Ich frage mich, ob ich mein Tagebuch mitgenommen habe, dann fällt mir ein, dass ich es selbst eingepackt, in meine Tasche gesteckt habe. Ich versuche, mich zu beruhigen. Heute Abend werde ich es unters Kopfkissen legen, und morgen werde ich es finden und lesen. Alles wird gut.
    Ich kann Ben draußen auf dem Flur hören. Er redet mit dem großen Mann, bestellt unser Frühstück. »Wir werden wahrscheinlich auf dem Zimmer frühstücken«, höre ich ihn sagen. Eine Möwe kreischt draußen vor dem Fenster, erschreckt mich.
    Ich gehe auf die Tür zu, als ich es sehe. Rechts von mir. Da ist ein Badezimmer, die Tür steht offen. Eine Wanne, eine Toilette, ein Waschbecken. Aber was meinen Blick bannt, mich mit Entsetzen erfüllt, ist der Boden. Er ist gefliest, und das Muster ist ungewöhnlich; abwechselnd schwarz-weiß in harten Diagonalen.
    Mir klappt der Unterkiefer herunter. Ich spüre, wie mir kalt wird. Ich meine, mich aufschreien zu hören.
    Plötzlich weiß ich es. Ich erkenne das Muster.
    Ich habe nicht nur Brighton wiedererkannt.
    Ich war schon einmal hier. In diesem Zimmer.
     
    Die Tür geht auf. Ich sage nichts, als Ben hereinkommt, aber meine Gedanken überschlagen sich. Ist das hier das Zimmer, in dem ich angegriffen wurde?

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