Ich darf nicht vergessen
dafür empfänglich wäre. Aber dann sah ich ihr Gesicht. In ihren Augen lag keine Verliebtheit. Nein. Etwas viel Schlimmeres. Eine Art Bestürzung über ihre Verantwortung. Als würde sie schweren Herzens eine groÃe Last auf sich nehmen.
Ich musste mich zusammenreiÃen, um diesem jungen Mann keinen Tritt in seinen knochigen Hintern zu versetzen. Ich sehe heute noch seine hängenden Schultern vor mir, als er sich an Fiona lehnte in der Hoffnung, sie würde ihm etwas von ihrer Kraft abgeben. Sie schaute mich an, sah, dass ich verstand, und alle Last fiel von ihr ab, als ich den Kopf schüttelte. Nein.
Später am selben Abend warf sie mir unter Tränen vor, ich würde ihr Leben zerstören. Und so spielten wir diese spezielle Mutter-Tochter-Szene durch, und zwar mit einer Leidenschaft, die James und Mark missverstanden. Wir beide wussten indes, um was es ging. Eine Rettung in letzter Minute, die dankbar angenommen wurde.
N eben meinen Morgentabletten und dem Glas Saft liegt ein Brief. Mein Name steht darauf, aber keine Adresse. Keine Briefmarke. Zwei Seiten unliniertes Papier, winzige, verkrampfte Handschrift. Ich lese den Brief einmal, dann noch einmal.
Mom,
tut mir leid, dass mein letzter Besuch nicht so gut verlaufen ist. Ich habe dir noch nicht mal den wirklichen Grund genannt, warum ich gekommen bin. Aber dein Anfall beweist, dass ich mit meiner Einschätzung richtig liege. Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir das Haus verkaufen und du in ein Pflegeheim ziehst.
Vor allem ist für mich der Zeitpunkt gekommen, meine Befugnisse als dein Bevollmächtigter in medizinischen Fragen wahrzunehmen. Ich weiÃ, dass du das nicht möchtest. Du legst Wert auf deine Unabhängigkeit. Mit Magdalenas Hilfe gelingt es dir, 65 Prozent deines Lebens im Griff zu behalten. Aber was ist mit den restlichen 35 Prozent?!
Die Ermittlungen im Fall von Amandas Tod machen mir groÃe Sorgen. Die Tatsache, dass überhaupt zur Debatte steht, du könntest in den Mord verwickelt sein â was ich natürlich nicht glaube â, ist Grund genug, diesen Schritt zu tun.
Halte ich dich für eine Gefahr für deine Mitmenschen? Nein. Halte ich dich für eine Gefahr für dich selbst? Ja, das tue ich. Ich vermute, dass mir nicht alles zu Ohren kommt. Ich vermute, dass Magdalena und Fiona mir nicht alles erzählen.
Du hast mir diese Vorsorgevollmacht ausgestellt. Ich habe dich nicht darum gebeten. Aber da ich sie nun mal habe, bin ich entschlossen, meine Pflicht zu erfüllen. Natürlich könntest du mir die Vollmacht wieder entziehen. Du könntest tun, wozu Fiona dich zu überreden versucht (ja, ich habe bei meinem letzten Besuch in deinem Notizheft gelesen) und mir die Vollmacht wieder aberkennen. Aber ich glaube, du weiÃt, dass das ein Fehler wäre.
Apropos Fiona. Ich mache mir Sorgen um sie. Fast so groÃe Sorgen wie um dich. Du weiÃt ja, wie sie sich in Dinge hineinsteigern kann, das habe ich dir schon bei meinem letzten Besuch gesagt. Ãber lange Zeit geht alles gut, und dann plötzlich flippt sie komplett aus. Erinnerst du dich noch an die Sache in Stanford? Als Dad hinfahren und sie nach Hause holen musste, damit sie sich an einem sicheren Ort abregen konnte?
Jedenfalls weià ich, dass Fiona das Gegenteil behauptet, aber ich möchte wirklich nur das Beste für dich. Die Polizei hat dich schon mehrmals verhört. Wenn die irgendetwas gegen dich in der Hand hätten, würden sie dich für voll zurechnungsfähig erklären und vor Gericht stellen.
Ich mache mir dauernd Sorgen um dich. Ich weiÃ, dass ich das nicht immer auf besonders diplomatische Weise zum Ausdruck bringe. Wie wir schon oft genug festgestellt haben: Ich bin nicht Dad. Ich bin kein redegewandter Staranwalt, ich bin nur der Mann für die niederen Arbeiten. Aber deine Situation ist mir nicht gleichgültig.
Vom Gesetz her muss, wie du einmal wusstest (und vielleicht immer noch weiÃt, wenn dein Verstand klar arbeitet), die Geschäftsunfähigkeit für jede Situation gesondert festgestellt werden. Es kann sein, dass du nicht mehr in der Lage bist, dich allein anzuziehen, aber sehr wohl noch entscheiden kannst, wo du wohnen möchtest. Das akzeptiere ich.
Deine Entscheidung, Fiona die Vollmacht über deine finanziellen Angelegenheiten zu übertragen, war einerseits klug. Du hast erkannt, dass du deine finanziellen Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln
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