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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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so dumm anzunehmen, ich würde über magische Kräfte verfügen. Ich habe genug über diese Krankheit gelesen, um zu wissen, dass man von der Vergangenheit nicht auf die Zukunft schließen kann. Es ist genauso, wenn man Kinder großzieht: Kaum glaubt man, man hätte die Situation im Griff, ändert sich alles.
    Deswegen sträuben sich Lehrer mit Händen und Füßen dagegen, unterschiedliche Jahrgänge zu unterrichten. Deswegen habe ich dreiundvierzig Jahre lang immer nur die siebte Klasse unterrichtet. Man kann versuchen, all seine Erfahrungen und bewährten Methoden auch nur ein Jahr später im Leben eines Kindes anzuwenden, aber es funktioniert einfach nicht.
    Als du heute über Fiona gesprochen hast, warst du ziemlich klar. Kein Nebel. Und was Fiona angeht, sind wir einer Meinung. Sie macht sich großartig. Wir sind beide mächtig stolz auf sie. Als sie ein junges Mädchen war, habe ich mir solche Sorgen um sie gemacht. Als wäre sie meine Tochter. Als Teenager und auch noch mit Anfang zwanzig war sie sehr schwierig, und es hat furchtbar wehgetan, das alles mitanzusehen.
    Wie du weißt, habe ich meine Patenpflichten immer sehr ernst genommen! Ich war nicht in Sorge wegen Drogen oder Sex, auch wenn ich glaube, dass sie beides ausprobiert hat. Das ist vollkommen normal. Nein, ich war in Sorge, weil sie dieses Helfersyndrom entwickelt hatte. Ständig hat sie Mark aus der Patsche geholfen. Und dann dieser unmögliche junge Mann. Gott sei Dank hat sie sich von ihm getrennt, bevor sie zwanzig wurde. Sonst hätte sie ihn am Ende noch geheiratet.
    Es wäre natürlich nicht lange gut gegangen. Doch wie ich Fiona kenne, hätte die Ehe Spuren hinterlassen. Hätte ihr geschadet. Sie hätte das nur sehr schwer verkraftet. Viel schwerer als ich nach vierzig Jahren.
    Aber genug! Ich gehe jetzt. Lass es dir gut gehen, meine Liebe. Ich komme bald wieder vorbei.

I ch denke viel über die Kinder nach. Sie haben sich früher so nahegestanden. Da Mark viel älter ist als Fiona, hätte man meinen können, dass sie ihn langweilte, dass er sie ablehnte. Aber er hat sie nie abgelehnt, jedenfalls damals nicht. Jetzt haben sie sich zerstritten. So geht Mark mit Leuten um. Irgendwann gehen sie ihm auf die Nerven, dann legt er sich mit ihnen an, sagt sich von ihnen los. Und nach einem halben Jahr oder einem Jahr kommt er zurückgekrochen und bittet um Verzeihung.
    Als Kind war sie zu klein, als dass seine Freunde sich für sie interessiert hätten, und ich habe mir nie Gedanken gemacht, wenn sie für einen von ihnen geschwärmt hat. Zu dünn, zu linkisch, zu verdammt intelligent, als dass sich die Footballstars und Basketballhelden, mit denen Mark damals herumhing, für sie interessiert hätten. Bis auf einen– da war Fiona vielleicht vierzehn. Inzwischen war sie kein süßer Fratz mehr, und ihr Gesicht strahlte noch nicht die angenehme Offenheit aus, die es jetzt besitzt. Als junges Mädchen war sie verschlossen und geheimniskrämerisch.
    Dieser Junge– dieser junge Mann–, Marks Zimmergenosse in seinem ersten Studienjahr an der Northwestern, hatte Witterung aufgenommen. Ich hatte immer versucht, sie vor Räubern zu schützen, aber Eric war unter meinem Radar durchgeschlüpft. Zu farblos, zu zurückhaltend, ohne Charme oder Trübsinn, Eigenschaften, die ich damals mit erfolgreichen Verführern assoziierte.
    Was zwischen den beiden vorgefallen ist, weiß ich nicht. Fiona wollte es mir nicht sagen. Hat er ihr das Herz gebrochen? Hat er sie mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt? Hat sie abgetrieben? Möglich wäre alles, aber ich vermute, dass es etwas weniger Melodramatisches war. Damals dachte ich, sie würde ihm bloß beim Pauken für ein Statistikseminar helfen. Amanda nahm etwas Ähnliches an. Sie dachte, Fiona hätte Mitleid mit ihm, weil er so ein Außenseiter war. Weder Amanda noch ich kamen auf die Idee, dass Fiona etwas von Eric brauchte. Wir hatten einfach ein anderes Bild von Fiona.
    Ich habe die Sache beendet, als ich die beiden eines Abends erwischte, wie sie auf den Stufen vor unserer Haustür hockten. Ich hatte ihnen nicht nachspioniert, hatte nicht einmal an Fiona und Eric gedacht. Ich habe einfach die Tür aufgemacht, und da saßen sie. Er wirkte missmutig, hatte diesen Liebst-du-mich-denn-nicht-Blick, den junge Männer so gern aufsetzen. Ich hätte nie gedacht, dass Fiona

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