Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
Vom Netzwerk:
auch allgemeinverständlich ausdrücken?
    Natürlich. Schon immer waren Ärzte an der Frage interessiert, ob man von den Linien in der Handfläche, der Länge der Finger oder von den Fingerabdrücken Rückschlüsse auf bestimmte Krankheiten ziehen kann.
    Was denn für Krankheiten?
    Hauptsächlich Erbkrankheiten. Zum Beispiel hat sich herausgestellt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen einer durchgehenden Vierfingerfurche, abnormalen Fingerabdrücken und dem Cri du Chat-Syndrom.
    Cri du Chat? Katzenschrei?, fragt der junge Mann.
    Ja, weil Kinder, die mit dieser Anomalie geboren werden, wie Katzen schreien. Sie sind meistens sehr stark geistig behindert. Dann gibt es noch das Jacobsen-Syndrom. Auch das lässt sich anhand der Handlinien diagnostizieren. Es ist dem Down-Syndrom sehr ähnlich.
    Kann man denn auch etwas Gutes an den Händen ablesen? Annette erzählt den Leuten gern, dass sie ein langes Leben vor sich haben oder irgendwann reich werden.
    Leider weisen die Abnormitäten einer Hand in der Regel auf ein Problem hin, häufig sogar auf ein ernstes. Nur ein Forscher ist darunter, der einen eindeutigen Zusammenhang zwischen bestimmten Fingerlängen und einer außergewöhnlichen musikalischen Begabung erkannt haben will. Du lässt einen Augenblick verstreichen. Das ist natürlich reine Statistik. Hier schauen Sie. Du streckst deine rechte Hand aus. Sehen Sie, dass mein Zeigefinger genauso lang ist wie mein Mittelfinger? Das ist statistisch gesehen anormal. Trotzdem habe ich keinen genetischen Defekt, zumindest keinen, der mir bekannt wäre.
    Lassen Sie mich mal sehen, sagt die junge Frau ein bisschen abrupt. Du zögerst kurz, dann lässt du es zu, dass sie deine Hand nimmt. Sie beugt sich stirnrunzelnd über deine Handfläche.
    Wie sieht’s mit meiner Lebenslinie aus?, fragst du.
    Ach, daran glaubt heute niemand mehr. Zum Glück. Nach Ihrer Lebenslinie zu urteilen, hatten Sie ein sehr kurzes Leben. Sie müssten eigentlich schon tot sein. Davon abgesehen sind Sie eher ein intellektueller als ein materialistischer Mensch. Sie haben die Macht zu manipulieren, ziehen es aber vor, davon keinen Gebrauch zu machen. Und Sie hatten nicht viel Glück im Leben.
    Sie sprechen in der Vergangenheit, sagst du. Liegt das daran, dass ich eigentlich schon tot sein müsste?
    Wie bitte?
    Sie sagten nicht, Sie werden nicht viel Glück im Leben haben, sondern Sie hatten nicht viel Glück im Leben.
    Die junge Frau errötet. Verzeihen Sie. Ich wollte damit nicht sagen, dass Ihr Leben zu Ende ist. Sie verhalten sich nicht wie jemand, der alt ist.
    Du bist verblüfft. Warum sollte ich?, fragst du.
    Sie haben recht, ich verallgemeinere. Das muss am Bier liegen.
    Für wie alt halten Sie mich denn?, fragst du.
    Gott, bei so was bin ich eine komplette Niete. Fragen Sie mich lieber nicht.
    Ich schätze, dass wir ungefähr gleichalt sind. Vielleicht bin ich auch ein bisschen jünger.
    Die junge Frau lächelt. Okay, das hat gesessen. Ich habe mal diesen Test im Internet gemacht, der einem sein tatsächliches Alter verrät, und ich bin auf sechzehn gekommen. Alle meine Freundinnen haben es auf mehr Jahre gebracht – dreißig, zweiunddreißig. Jim ist ein alter Knacker. Laut Test beträgt sein tatsächliches Alter fünfunddreißig. Dabei ist er erst vierundzwanzig.
    Ich bin achtzehn, sagst du.
    Wie schön für Sie! Auf ewig jung!
    Nicht auf ewig, sagst du. Auch wenn es einem manchmal so vorkommt.
    Wenn ich wirklich schon fünfunddreißig wäre, würde ich mir die Pulsadern aufschneiden, sagt der junge Mann.
    Die junge Frau verdreht die Augen. Nicht schon wieder, sagt sie.
    Aber warum denn?, fragst du.
    Also, ich meine, wenn ich fünfunddreißig wäre und in derselben Situation, in der ich jetzt bin. Ich hab einen blöden Job. Krieg nichts auf die Reihe. Hab meinen Roman immer noch nicht geschrieben. Um nur ein paar Dinge aufzuzählen.
    Sie arbeiten an einem Roman?, fragst du. Das scheint etwas zu sein, was viele Leute in Kneipen oder auf der Untersuchungsliege erzählen.
    Nein. Das ist es ja gerade. Noch bin ich Mitte Zwanzig, ich habe also eine Ausrede. Aber mit fünfunddreißig hat man keine mehr. Ausrede, meine ich.
    Sie würden sich wundern, sagst du. Mark wird jede Menge Ausreden haben, wenn er in dem Alter ist. Warten Sie’s ab.
    Wer ist Mark?
    Du bist verwirrt. Wer ist er bloß?
    Ach, ein

Weitere Kostenlose Bücher