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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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drücken dich zurück durch die offene Toilettentür. Wie in weiter Ferne erblickst du eine Tür mit der Aufschrift AUSGANG . Du machst dich auf den Weg dorthin.
    Hinter dir laute Stimmen. Hey! Sie da! Ein Mann mit Speisekarten in der Hand nickt dir zu und hält dir die Tür auf. Haltet sie auf! Der Mann sagt freundlich, Einen schönen Abend noch! Abend?, fragst du. Dann bist du draußen, und eine warme Brise liebkost dein Gesicht.
    Wann hat der Tag sich in Nacht verwandelt? Die Hitze in wohlige Wärme? Die Straßenlaternen sind an, alle Geschäfte und Restaurants sind erleuchtet und einladend, helle Lichter glitzern zwischen den Bäumen, die voll in Blüte stehen. Überall Leute, Hand in Hand, Arm in Arm, die Wärme menschlicher Körper im Einklang. Es ist eine Party. Ein Märchenland. Du tauchst tief ein in die festliche Abendstimmung.
    M an hat nicht gelebt, wenn man nicht gesehen hat, wie Fische zum Mond streben. Ihre silbrigen Körper schimmern im Licht, wenn sie zu Dutzenden aus dem Wasser schnellen. Sie beschreiben einen perfekten, glitzernden Bogen mit ihrem Sprung. Ihr Wiedereintauchen in die blau-grauen Tiefen ist pure Poesie.
    Die Luft ist mild und tropisch, aber das Seewasser ist eisig. Es betäubt die Füße und Knöchel. Es gibt noch andere, die sich nicht abhalten lassen. Du siehst Köpfe über dem Wasser,Arme, die durch die Wasseroberfläche pflügen, eine lange Reihe von Köpfen, die mit Schultern und Armen verbunden sind. Kleine Wasserfontänen, von Füßen aufgewirbelt, diesen winzigen Motoren.
    Im Park ist es fast taghell– die Straßenlaternen haben sich bereits eingeschaltet. Freudiges Geheul erklingt aus dem Zoo. Alle Bänke sind besetzt, die Wege voller Leute. Und überall Hunde, sie rennen, wälzen sich, jagen hinter Bällen und Frisbeescheiben her, tollen im seichten Wasser herum. Die Fische springen unaufhörlich und lassen das Wasser spritzen.
    Ma’am? Ein junger Mann kommt auf dich zugelaufen. Er hält etwas in der Hand.
    Sie haben Ihre Schuhe liegen lassen! Er ist außer Atem. Er bleibt stehen und hält dir ein Paar neu aussehende weiße Halbschuhe hin. Er sieht aus wie einer, der Dankbarkeit erwartet, also bemühst du dich, Wärme in deine Stimme zu legen.
    Ach so, ja, danke, sagst du. Er hält dir die Schuhe immer noch hin, und du nimmst sie ihm ab, aber kaum hat er sich umgedreht, lässt du sie ins Gras fallen. Wer braucht an so einem Abend Schuhe? Sie sind nur lästig. Sie dienen nur dazu, deinen Körper von Mutter Erde zu trennen.
    Rechts von dir steht ein junges Paar von einer Bank auf. Du setzt dich auf die Bank, nicht weil du müde bist, sondern weil du dir den festlichen Umzug ansehen willst.
    Und was für ein Umzug! Musiker: Trommler und Trompeter und Posaunisten. Du musst dich anstrengen, um sie zu hören, weil die Grillen so laut sind. Dann kommen die Unterhaltungskünstler und die Akrobaten, Männer auf Einrädern und Frauen auf Stelzen, alle in exotischen Kostümen.
    Einige sind nackt. Du musst lachen über die erigierten Penisse der Männer, erregt von der lauen Nachtluft und der Nähe zu so viel Schönheit. Fast bist du selbst ein bisschen erregt.
    Du musst an deinen jungen Mann denken. Er ist spät dran. Er kommt immer zu spät. Immer musst du auf ihn warten. Dein Vater sagt, dass eine Frau, die wartet, alles enthalten muss und es ihr an nichts mangeln darf. Wahrscheinlich war das ein Zitat aus irgendeinem Gedicht, aber du hast nie herausgefunden, aus welchem. Er ist voller Überraschungen, dein Vater. Er ist gerade mal bis zur achten Klasse zur Schule gegangen, korrigiert dir jedoch deine College-Hausarbeiten.
    Dein junger Mann, dein schöner junger Mann. Er trägt Grün, passend zu seiner Augenfarbe. Er ist nicht dumm, aber nicht klug genug, seine Eitelkeit zu verbergen. Du hast Make-up in seinem Spind gefunden, aber nicht einen Moment lang geglaubt, er würde dich betrügen. Nicht dass er dazu nicht fähig wäre. Er war dermaßen gerissen, dass man ihm nichts nachweisen konnte.
    Aber du? Würde man dich an einen Lügendetektor anschließen, würdest du bei jeder Frage durchfallen. Haben Sie ihn geliebt? Ja. Nein. Für beide Antworten wärst du als Lügnerin erkannt worden. Manchmal. Vielleicht. Nur wenn man dich an ein Gerät anschließen würde, das Ambivalenz misst, würdest du den Test bestehen.
    Nach

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