Ich darf Sie nicht lieben, Miss Jessica
wie Jessica sich in seinen Armen gewunden hatte. Was womöglich mehr ihrem Bemühen zugerechnet werden musste, ihm seinen Irrtum beim Betreten des Damenzimmers klarzumachen, als dass es ein stürmischer Protest gegen seine Umarmung gewesen war. Jedenfalls hatte sich ihm dieser Gedanke kurz darauf aufgedrängt. Die Erkenntnis indes, dass er in keiner Situation war, seine Theorie in allernächster Zeit überprüfen zu können, entmutigte ihn auch jetzt noch.
Sobald er seinem misslichen Gefängnis hatte entkommen können, war er in den Ballsaal geeilt und hatte nach seiner Wohltäterin Ausschau gehalten, doch Jessica und ihre beiden Begleiter waren bereits aufgebrochen. Holt und Fitzallan hatten sich zu ihm gesellt und wissen wollen, wo er die vergangene halbe Stunde gewesen war. Benedict hatte improvisieren müssen und ihnen etwas von einer Krise zwischen Mitgliedern der Dienerschaft erzählt, die er habe bewältigen müssen.
Unglücklicherweise war Fitzallan der Kratzer auf seiner Wange aufgefallen, und er hatte ihn aufgezogen, er sei anscheinend in einen Faustkampf geraten und schlecht dabei weggekommen. Benedict hatte erneut eine Notlüge erfinden müssen und behauptet, er sei gegen eine der verwünschten Topfpalmen der Dowager Countess gestoßen. Weder Fitzallan noch Holt hatten seine wenig glaubhafte Erklärung kommentiert, doch Benedict war der zweifelnde Blick aufgefallen, den seine Freunde tauschten, und er hatte gewusst, dass es ihm nicht gelungen war, sie zu überzeugen.
An den Rest des Abends erinnerte er sich nur undeutlich. Er hatte sämtliche Tänze getanzt, jedes Mal mit einer anderen Partnerin, und, sehr zur Erheiterung von Fitzallan und Holt, schließlich sogar eine der betagten Freundinnen seiner Großmutter zum Dinner geleitet. Erst als die Tür hinter dem letzten Gast ins Schloss gefallen war, hatte er sich erlaubt, seine Anspannung loszulassen und sich erschöpft zu fühlen.
Nun jedoch, da er im Schein der warmen Mittagssonne durch den Park in der Mitte des Berkeley Square spazierte, verspürte er eine Unbeschwertheit, die ihn angesichts des drohenden Ruins erstaunte. Er klopfte leicht gegen seine Rocktasche, um sich zu vergewissern, dass die schmale Schachtel, die er auf dem Weg zu den Draycotts erstanden hatte, unversehrt war, und lächelte zufrieden. Heute früh war ihm klar geworden, dass ihn nichts davon abbringen konnte, den Beresfords einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, und die Tatsache, dass er sie beim Abschied am Abend zuvor verpasst hatte, lieferte ihm einen ausgezeichneten Vorwand, sie aufzusuchen und seinem Bedauern darüber Ausdruck zu verleihen. War das erledigt, würde er sicher eine Gelegenheit finden, Jessica sein kleines Geschenk zu überreichen.
9. KAPITEL
Jessica hatte kaum ein Auge zugetan, nachdem sie von der Soiree der Ilchesters nach Hause gekommen waren, und das lag nicht daran, dass das Ereignis einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlassen hätte. Ihr war undeutlich bewusst, dass sie viel getanzt hatte, doch an die Gesichter ihrer Partner konnte sie sich nur verschwommen erinnern. Was sie stattdessen den ganzen Abend über und sogar noch während der Nacht beschäftigt hatte, war ihr skandalöses Verhalten Lord Wyvern gegenüber.
Obwohl die schockierende Erfahrung mit Wentworth weitgehend überwunden war und sie sich bereitwillig in das nicht enden wollende Vergnügungskarussell der lang ersehnten Saison in der Hauptstadt gestürzt hatte, war sie beim Flirten mit jungen Gentlemen viel vorsichtiger geworden und achtete darauf, dass ihr Leichtsinn nicht mehr die Oberhand über ihr gesundes Urteilsvermögen gewann. Außerdem tat sie alles, um zu vermeiden, dass einer ihrer zahlreichen Anbeter sich von ihr bevorzugt fühlte, denn auch wenn alle Welt etwas anderes erwartete – sie war nicht nach London gekommen, um sich einen Ehemann zu angeln.
Die knapp gescheiterte Entführung hatte sie, neben vielem anderen, gelehrt, ihre Gunstbeweise weniger freizügig zu verteilen – erst recht, nachdem sie von Matt und Imogen auf ein weiteres Opfer des Wildhüters aufmerksam gemacht worden war – die vierzehnjährige Tochter des ortsansässigen Gastwirts. Der Anblick der schwangeren Rosie Juggins hatte Jessica auf das Nachhaltigste erschüttert und ihr klargemacht, dass es für eine junge Dame von äußerster Wichtigkeit war, sich auf keinen Fall in eine Situation zu begeben, in der ihre Tugend gefährdet war.
Wie überaus schändlich, sich eingestehen zu müssen,
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