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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Astro-Kokolores zu hören. Spannender ist daher die Frage: Was passiert eigentlichmit demjenigen, der sich in derlei mythischer Weissagung übt? Hier kommt ins Spiel, was Psychologen einen Hindsight-Bias nennen, zu deutsch: einen Rückschaufehler.
    Tatsächlich neigen wir Menschen dazu, uns retrospektiv zu überschätzen. Oder anders formuliert: Wir interpretieren unsere ursprüngliche Aussage so lange um, bis sie zum tatsächlichen Ereignis passt. »Sagte ich Wetterumschwung? Ich meinte natürlich strahlenden Sonnenschein!« Ein typisches Experiment zum Hindsight-Bias geht zum Beispiel so: Den Probanden werden zunächst verschwommene Bilder gezeigt, die zunehmend schärfer werden. Die Kontrollgruppe hat keine Ahnung, was auf den Fotos zu sehen sein wird. Den eigentlichen Testpersonen aber verraten die Forscher schon im Voraus das Motiv und fragen sie dann, ab wann sie es erkannt haben. In nahezu allen Fällen schätzt die Versuchsgruppe den Zeitpunkt systematisch zu früh ein. Man könnte auch sagen, sie schummeln   – nur um sich den Schein eines Durchblickers zu geben.
    Sie schmunzeln darüber vielleicht. Aber stellen Sie sich jetzt bitte einen Arzt vor, der ein Röntgenbild betrachtet und entscheiden muss, ob der Tumor darauf hätte eher erkannt werden können oder nicht. Entsprechend hat der Hindsight-Bias in der Rechtsprechung bis heute erhebliches Gewicht   – insbesondere bei der Frage: Handelte der Täter fahrlässig und wider besseres Wissen?
    Dabei ist die Expertise zu diesem Phänomen vergleichsweise jung. Erstmals untersucht wurde der Hindsight-Bias 1975 von Baruch Fischhoff an der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh. Seitdem taucht der Effekt in der Gedächtnisforschung immer wieder auf: 2003 erschien sogar eine Sondernummer der Zeitschrift ›Memory‹, die sich ausschließlich dem Rückschaufehler widmete, wobei die Wissenschaft drei Arten unterscheidet:
     
    1.   Die Betroffenen können sich tatsächlich nur schlecht an ihre Vorhersage erinnern.
    2.   Er oder sie glaubt, es schon immer gewusst zu haben. Oder aber der Ausgang wird mit absoluter Unwägbarkeit entschuldigt: »Also damit konnte nun wirklich keiner rechnen.«
    3.   Die Personen nehmen schlicht an, dass es unausweichlich so kommen musste, wie es kam.
     
    Besonders an der Börse lässt sich das gut beobachten: Stürzt die Aktie überraschend ab, sagen viele, dass sie damit längst gerechnet haben   – trotzdem haben sie ihr Depot zuvor weder verkauft noch eifrig Optionen auf sinkende Kurse geordert. Forscher am Max-Planck-Institut in Berlin finden das allerdings gar nicht so schlimm. Sie halten den Hindsight-Bias für einen kognitiven Mechanismus, der uns dabei hilft, unnütze Informationen zu entsorgen und künftig bessere Entscheidungen zu treffen. Ihre Hypothese: Wir belohnen uns mit falschem Feedback über die eigene Brillanz, um die tatsächliche Kausalität leichter zu begreifen. Ein klassischer Selbstbetrug, jedoch mit bester Absicht.
    Wie weitere Nachforschungen ergaben, hat die Persönlichkeit der Betroffenen ebenfalls großen Einfluss auf diese Form der Selbsttäuschung. Erwartungsgemäß behaupten Menschen, die einen starken Hang zur Selbstdarstellung haben, deutlich öfter als andere, die richtige Antwort vorher gewusst zu haben. Am stärksten aber zeigt sich der Rückschaufehler bei jenen, die zu einer Art Dogmatismus neigen   – also Menschen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit und einer geordneten, vorhersehbaren Welt. Dass Letzteres jedoch gar nicht so erstrebenswert ist, wie es vielleicht scheint, zeigt sich allerdings leider auch erst in der Rückschau.

DER BOWERY-EL-EFFEKT
    Warum wir Dinge hören, die gar nicht mehr da sind
    Wer ganz unten angelangt ist, kann sich zumindest mit einer Tatsache trösten: Von hier aus kann es nur noch besser werden. Die »Bowery« im Süden New Yorks war Mitte des vergangenen Jahrhunderts so ein Ort. Die Straße galt als Boulevard der Obdachlosen, eine Anlaufstätte für Alkoholiker und allerlei kleiner und großer Krimineller. In den Straßenecken stauten sich der Müll und die vertrocknete Kotze aus vergangenen Tagen, die auch keine besseren waren. Wer es irgendwie konnte, mied die Gegend tunlichst. Es sei denn, er verspürte Todessehnsucht oder war ein ausgemachtes Schlitzohr.
    Tempi passati   – Zeiten ändern sich. Heute zählt die Bowery zu den angesagten In-Vierteln im Big Apple. Die Straße beginnt nördlich im schicken East Village; im Süden

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