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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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werden.

DER STROBOSKOP-EFFEKT
    Warum sich Räder beim Fahren rückwärts zu drehen scheinen
    Am 28.   Dezember 1895 zelebrierten die Brüder Auguste und Louis Lumière im indischen Salon des Pariser »Grand Café« die erste öffentliche Filmvorführung mit einem Kinematografen. Die Geburtsstunde des Kinos. So jedenfalls steht es in den Geschichtsbüchern. Genau genommen fand die eigentliche Entdeckung aber schon 70   Jahre zuvor statt: in einem englischen Garten, umrahmt von einem brüchigen Lattenzaun.
    Darin saß damals der Arzt Peter Marc Roget. Das heißt, vermutlich saß er auf seiner Veranda, schlürfte an einem Gin Tonic und sah seinen Gedanken beim Verklären sowie den Pferdekutschen beim Vorbeifahren zu. Nur musste er das Treiben vor seinem Garten durch die Spalten seines klapprigen Zauns betrachten. Und weil er wohl noch nicht allzu viel Gin intus hatte, bemerkte er, dass die Radspeichen der passierenden Kutschen eine seltsam gekrümmte und scheinbar unbewegliche Form annahmen. Eine typische optische Täuschung eben. Zu Zeiten Rogets aber war dies phänomenal neu, sodass er sie sogleich in einem Modell nachbaute und dazu noch einen Aufsatz veröffentlichte.
    Wenig später wurde der Belgier Joseph Plateau auf Rogets Entdeckung aufmerksam. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und bastelte daraufhin das erste sogenannte Phenakistiskop   – eine kreisrunde Scheibe, auf der 16   Einzelzeichnungen eines Bewegungsablaufs aufgemalt waren. Drehte man die Scheibe besonders schnell und fixierte dabei nur einen Punkt darauf, entstand der Eindruck, die Figur würde sich bewegen. Diese »optischen Zauberscheiben«, die der Österreicher Simon Ritter von Stampfer noch weiter verfeinerte, avancierten alsbald zur regelrechten Attraktion in Salons und auf Jahrmärkten. Dabei bürgerte sich zunehmend der Name »stroboskopische Scheibe« ein   – oder wie wir es heute kurz kennen: Stroboskop.
    Der Stroboskop-Effekt, auch Phi-Phänomen genannt, basiert letztlich auf der Trägheit des Auges oder auf dem Phänomen einer Scheinbewegung   – je nachdem, wie man es sieht. Natürlich bewegen sich die Figuren auf der Kinoleinwand nicht. Ebenso wenig wie die vielen grauen Punkte in der Flimmerkiste bei einem Senderausfall über den T V-Bildschirm tanzen. Vielmehr sind es viele, viele Einzelbilder, die beim Betrachter ab einer bestimmten Frequenz (etwa 16   Hertz) eine Bewegungsillusion erzeugen. Auch hierbei handelt es sich um einen Wahrnehmungsfehler   – man sieht eine Bewegung, die nicht existiert. Besonders gut lässt sich das zum Beispiel an Laufschriftanzeigenbeobachten: Obwohl die einzelnen Lampen nur schnell hintereinander aus- und wieder angehen, wirkt es so, als ob die Schrift wandert.
    Mit demselben Effekt lassen sich auch Bewegungen »einfrieren«. Immer dann, wenn der Abstand der einzelnen Lichtintervalle genauso groß ist wie der Abstand zwischen den einzelnen Bewegungen, scheinen diese zu erstarren. Falls Sie noch einen hochwertigen Schallplattenspieler besitzen, kennen Sie das: Um die richtige Drehzahl des Plattentellers einzustellen, befinden sich an der Seite feine Linien- oder Strichmuster sowie eine stroboskopische Glimmlampe, die in einer exakten Frequenz flackert. Sobald der Teller genauso schnell dreht, wie die Lampe flimmert, scheint eine der relevanten Linien oder Balken am Tellerrand stillzustehen. Die jüngeren Leser dürften sich über das Phänomen indes in der Disco freuen: Wird das Stroboskoplicht eingeschaltet, sehen manche Tänzer so aus, als würden sie sich nur noch in Zeitlupe bewegen, während andere gar zur Säule erstarren. Bei nicht wenigen bleibt der Eindruck allerdings auch erhalten, wenn das Stroboskoplicht wieder ausgeschaltet wird. Das hat aber andere Gründe.
    Auf der Autobahn wiederum lässt sich manchmal beobachten, dass sich die Räder eines Fahrzeugs scheinbar rückwärts drehen, obwohl das Auto doch recht flott über den Asphalt braust   – und zwar vorwärts. Der sogenannte Wagenrad-Effekt ist eine Unterart des Stroboskop-Effekts und tritt immer dann auf, wenn die Radspeichen ein wenig schneller aufblitzen, als sie für die einmalige Umrundung brauchen. Dann sehen wir die einzelne Phase etwas früher, und der Prozess läuft scheinbar rückwärts ab. Selbst bei hohen Geschwindigkeiten kann das noch passieren, wenn die Periodenintervalle um jeweils ein Vielfaches ihrer selbst versetzt ablaufen. Jedoch nicht unbegrenzt: Irgendwann verschwimmt die Bewegung vollends, und

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