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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sharpshooter
fallacy
oder Zielscheibenfehler genannt wird. Seinen Namen verdankt er einer klassischen Western-Parodie: Zuerst ballert der Texaner auf ein Scheunentor, dann malt er konzentrische Ringe um seine Einschusslöcher, die wie eine Zielscheibe aussehen   – und piff-paff, hat sich die wilde Schießerei in das Werk eines famosen Scharfschützen verwandelt. Das Beste: Man braucht für diese Illusion nicht einmal Pistolen. Viele Menschen machen es genauso, indem sie im Nachhinein aus einer zufälligen Häufung von Ereignissen kausale Beziehungen ableiten   – im Alltag heißt das schlicht: Aberglaube. Es ist nun mal einer unserer Lieblingsdenkfehler, dass wir ständig versuchen, in willkürlichen Informationen Muster zu erkennen. Wissenschaftlich zulässig wäre allenfalls der umgekehrte Weg: zuerst die Hypothese aufstellen und danach durch eine Reihe von Experimenten überprüfen. Aber wer gibt schon gerne Irrtümer zu?

D AS GESETZ DER SERIE
    Zufall oder höherer Zusammenhang?
    Es war eine Einladung, wie sie befreundete Paare regelmäßig aussprechen. Mal besucht man die einen, dann kommen die anderen. So war es auch bei den Kammerers und den Schrekers. Am 17.   Mai 1917 war der Österreicher Paul Kammerer mit seiner Frau bei den Schrekers eingeladen. Alle hatten sich schon die ganze Woche über auf den launigen Abend gefreut. Auf dem Weg zu den Schrekers bekamen die Kammerers spontan Heißhunger auf Schokoladenbonbons. Also hielten sie unterwegs an und kauften eine Tüte Süßigkeiten. Irgendwie muss ihnen danach der Appetit aber wieder vergangen sein, denn sie beachteten die Schokolinsen nicht weiter und fuhren direkt zu den Schrekers. Es wurde ein schöner Abend. Das Essen schmecktephantastisch, der Wein war vorzüglich, und es gab viel zu lachen. Untermalt wurde die Begegnung von einer Oper. Die Gastgeber hatten eine Schellackplatte aufgelegt, die weibliche Hauptrolle wurde von einer Sängerin namens Carlotta gesungen. Als die Kammerers später nach Hause fuhren, öffneten sie endlich ihre Bonbontüte   – und staunten nicht schlecht: Auf einem der Bonbons stand: Carlotta. Unheimlich! Eine übernatürliche Botschaft? Eine Warnung vor einer süßen Verführung in weiblicher Gestalt? Natürlich nicht, sagt der Verstand. Alles Zufall!
    Und doch passieren jedem von uns immer wieder vergleichbar merkwürdige Begebenheiten. Der eine trifft bei der abendlichen Kneipentour einen alten Klassenkameraden wieder, den er jahrelang nicht gesehen hat   – ausgerechnet an dem Tag, an dem beide vor zehn Jahren zusammen Abitur gemacht haben. Morgens fällt uns der Marmeladentoast, kurz bevor wir aus dem Haus wollen, auf die Hose   – natürlich mit der Marmeladenseite voran. Im Büro kippen wir uns aus Versehen Kaffee über die Krawatte, und später beim Mittagessen kleckert der Kollege seine Bolognesesoße auf unser weißes Hemd. Spätestens ab jetzt schwebt das Jackett in Lebensgefahr. Ein Unglück kommt eben selten allein.
    Paul Kammerer hat diesen seltsamen Zufallserien sein ganzes Leben gewidmet. Jahrelang trug er eigene Erlebnisse dieser Art, Anekdoten von Freunden oder Zeitungsberichte zusammen. Sein Kompendium veröffentlichte er 1919 unter dem Titel ›Das Gesetz der Serie. Eine Lehre von den Wiederholungen im Lebens- und Weltgeschehen‹. In manchen Kreisen wird der Österreicher dafür verehrt. Sein Werk gilt mitunter in der Parapsychologie als Grundstein für die Theorie der Serialität, also dem Gedanken, dass hinter derlei Reihungen, die kausal gar nicht zusammengehören können, vielleicht doch ein übersinnlicher Konnex besteht. Der Legende nach soll sich der berühmte Physiker Albert Einstein positiv über das Werk geäußert haben: »Originell und durchaus nicht absurd.«
    Für Kammerer war die Sache klar. Es gibt ein Gesetz der Serie.Serielle Zufälle waren für ihn Ausdruck eines Naturgesetzes, das unabhängig von den bereits bekannten physikalischen Kausalgesetzen wirkt. Zur damaligen Zeit ein wahrhaft revolutionärer Gedanke. Heute würde sich der Stoff für erfolgreiche T V-Serien wie zum Beispiel ›Akte X‹ eignen.
    Egal, was Sie selbst glauben   – und auf eine Glaubensfrage läuft es bei dem Gesetz der Serie letztlich hinaus   –, für Paul Kammerer bleibt die Entdeckung schicksalhaft: Eine Verkettung unglücklicher Ereignisse sollte auch sein tragisches Lebensende einläuten. Kammerer, von Haus aus Biologe, wollte ganz in Darwin’scher Tradition beweisen, dass manche

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