Ich - der Augenzeuge
wollte den Schein des Halbgottes um seinen knöchern und kahl gewordenen Cäsarenschädel nicht missen.
Katinka liebte ihn nicht. Sie sagte es ganz offen. Er glaubte es nicht und kehrte ihr die Worte im Munde um. Die Hausdame, eine etwas reifere, ohne ihre Schuld geschiedene, immer noch schöne Frau, an die ich mich etwas angeschlossen hatte, erzählte es mir, als ich fragte. Ich und sie waren nicht unglücklich miteinander. Es fügte sich uns alles, vielleicht weil wir so wenig voneinander erwartet hatten. Es ist nichts weiter darüber zu sagen. Wir hingen beide an dem alten Mann. Wir dachten nach, wie wir ihm die Augen öffnen könnten. Aber wie sollte man einem ungewöhnlich klugen, geistig schöpferischen Menschen die Augen öffnen, einem Menschenkenner, dem man nichts Neues sagen konnte und der als Arzt sicherlich so manchem aus dem Gleichgewicht Gekommenen den Rat gegeben hatte, den er sich jetzt vorenthielt.
Nun hatte er immer noch eine Spur Hoffnung. Ich weiß nicht, war es wirklich so, oder stellte es Kaiser nur so hin. Der Schauspieler, den Katinka liebte, nicht bedenkend, daß ›Katinka Schwarz‹ nicht ganz so ›putzig‹ klingt wie ›Katinka Kaiser‹, auch er war auf dem Abstieg. Man versagte ihm große Rollen, und in den kleinen, die er bekam, enttäuschte er. Denn in kleinen Rollen groß zu sein, ist schwer. Er war in Not, hatte einige Menschen zu erhalten und war vor Sorgen mehr gealtert, als ihn die junge Liebe verjüngt hatte.
Kaiser bildete sich ein, wenn er heute seine geistige Kraft durch eine weltbewegende wissenschaftliche Leistung bekunde, werde Katinka ihn morgen zu lieben wiederbeginnen. Er hatte sich niemals zu der Einsicht durchringen können, daß es Frauen geben konnte, die ihn überhaupt nicht liebten, obwohl er sie seiner Liebe würdigte. Er dachte also, wenn er mit den Diplomen des Nobelpreises aus Stockholm heimkäme, würde Katinka ihm um den Hals fallen, seine welk gewordenen Lippen küssen, und ›Herr Schwarz‹ wäre vergessen, weil er ein Schauspieler zweiten Ranges war. Diese Illusion hielt ihn aufrecht.
Er hatte schon im Lauf der Jahre verschiedene Experimente gemacht, aber sie hatten ihn enttäuscht. An Tieren, an Lebewesen ohne Geist, kann man nicht Experimente des Geistes machen. Nun glaubte er sich im Besitz einer genialen Idee, und ich sollte ihn unterstützen; er bot mir an, seinen Ruhm zu teilen, und wenn er auf der Höhe seines Ruhmes seine Tätigkeit aufgäbe, um nur seiner Frau mit der rosigen Stimme zu leben, könne ich sein Nachfolger werden, so versprach er mir oft. Das war der Grund, weshalb er mich in chirurgischer Technik hatte ausbilden lassen. ›Ich mache operativ aus jedem Kretin einen intelligenten Menschen‹, wiederholte er im Familienkreise Tag für Tag und glaubte damit bei Katinka Eindruck zu hinterlassen, die, zwischen den zwei alternden Menschen schon lange nicht mehr fröhlich und kindlich, verblühte.
Wir gingen also ans Werk, vorerst bei einem Kretin, der von seiner Mutter der Anstalt Kaisers anvertraut worden war. Kaiser bewog die Mutter, ins Sanatorium zu kommen, um sich zu gleicher Zeit operieren zu lassen wie ihr zwerghafter idiotischer Sohn, der mit 20 Jahren nicht größer war als einen Meter zehn, der infolge seines Mixödems kaum ein paar Worte lallen konnte und unrein war. Ich an dem einen Tische, um in Narkose aus der Schilddrüse der Mutter einen Teil herauszuoperieren, er an einem anderen Tische neben mir, um dieses Stück dem armen Gehirnkrüppel in eine kleine Wundstelle am Halse einzupflanzen. Es bestand keine Gefahr. Interessant war es auf jeden Fall.
Der Junge war vor der Operation so verblödet, daß er nicht einmal die Finger seiner Hand hatte zählen können. Welcher Jubel, als einige Tage nach der Operation der bis dahin so trübe tierhafte Blick des Kretins heller und menschlicher wurde! Der junge Mensch wuchs, er sollte in fünf Monaten nicht weniger als zehn Zentimeter gewinnen. Sein strohiges Haar wurde seidig, er sprach 160 bis 170 Worte, zählte bis 20, lernte die Uhr usw. Er erkannte seine vor Seligkeit wahnsinnig werdende Mutter. Man fing an, ihn lesen und schreiben zu lehren. Er fing an, wie ein Erwachsener zu essen, er begann, mit wohlklingender Stimme vor sich hinzusingen, denn er wurde ein Mensch.
Das Glück, das unseren Chef erfüllte, war während dieser Zeit so hinreißend, unwiderstehlich, elementar, daß tatsächlich die süße kleine Frau ergriffen wurde und der Alte schon vor den öffentlichen
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