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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Weiß
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nahm und politisch entsagte, denn sie wollte keinen Politiker zum Mann. Aber es machte keinen Eindruck auf sie. War sie vorher kühl gewesen, wurde sie jetzt eisig.
    Ich konnte nicht ohne sie leben, das heißt nicht ohne Hoffnung auf sie, und wer konnte mir die Hoffnung geben, wenn ich sie nicht sah? Also zog ich es vor, sie gar nicht mehr zu treffen, und blieb ihr ohne Erklärung fern. Ich versuchte, mein Gefühl durch den Willen zu überwinden.
    Ich schloß mich in dieser Zeit meinem Jugendfreund Helmut enger an denn je. Er war dem bayrischen Generalstab zugeteilt, ich weiß nicht, ob wegen seiner besonderen militärischen Fähigkeiten oder wegen seiner Beziehungen zu dem Hauptmann R., der damals der geistige Leiter des Generalstabs in Bayern war.
    Die ungarische und die bayerische Räterepublik waren zusammengebrochen, und der Kampf gegen die gemäßigte schwache, schwankende deutsche Republik, Weimar genannt, bereitete sich nun vor. R., ein abgrundhäßlicher, der Männerliebe ergebener, noch junger und ungebrochener, skrupelloser, brutaler Mann von gewaltiger Willensstärke und ungewöhnlich klarer Einsicht in die Dinge, sah natürlich in dem kleinen Helmut nicht seinesgleichen. Er vertraute sich ihm an, aber so, wie sich ein in verantwortungsvoller Stellung befindlicher Bruder seinem ›Benjamin‹ anvertraut, und Helmut hatte keine Geheimnisse vor mir.
    R. machte aus seiner Gesinnung kein Hehl. Er war zwar als Offizier auf Weimar und den Reichspräsidenten vereidigt, und er bezog ebenso wie Helmut seinen bedeutenden Sold von der allzu vertrauensseligen Republik, aber er trat ihr als offener Gegner entgegen. »Ich bin nicht gewillt«, sagte er, wenn man ihn fragte, »auf mein Recht zum politischen Denken und Handeln im Rahmen der mir zugewiesenen dienstlichen Tätigkeit zu verzichten. Ich werde davon Gebrauch machen.« Was strebte aber das Offizierskorps an? Die Wiederkehr, ja die Übersteigerung der Zustände vor 1914, die Herrschaft des Schwertes, die ›restlose‹ Militarisierung der Nation und den Revanchekrieg.
    Die Ziele waren einfach und brutal, die Methoden aber vielfältig und listenreich. Auf Betreiben des Offizierskorps, das die einzige Stütze von Weimar war, da die Arbeiterschaft in einen konservativen, liberalen, bürgerlichen und einen revolutionären, proletarischen internationalen Flügel geteilt war, wurde den deutschen Heeresangehörigen das Wahlrecht versagt. Den republikanischen, den revolutionären Parteien, den sogenannten Novemberparteien, wurde verboten, Angehörige in der Armee zu werben. November, die große Revolution ohne Blutvergießen, galt in diesen Kreisen einfach als Schmach, als Fahnenflucht vor dem Feind, als Dolchstoß in den Rücken der unbesiegten Armee.
    Die Vorgesetzten konnten jetzt in der neugebildeten Musterarmee kleinen Maßstabs, der Reichswehr, ihre Untergebenen wie Wachs modeln und ihnen ihre Ideale, ihre Ziele, ihre Methoden einimpfen. Für sie war der Krieg nicht zu Ende. Ich fühlte ja auch, es konnte nicht so bleiben.
    Helmut und R. waren mir dankbar gewesen, daß ich sie im Herbst 1918 von P. aus auf A. H., den Kriegsblinden, den wunderbar geheilten Fanatiker, diesen scheinbar so einfachen, aber mit unheimlichen Kräften begnadeten Mann aufmerksam gemacht hatte. Sie hatten eben diese unheimlichen ›Kräfte‹ entdeckt, und er besaß etwas, was sie sehr brauchten.
    Die Truppenteile in M. hatten damals Untersuchungen veranstaltet, welche von ihren Angehörigen an den revolutionären Vorgängen, Novemberschmach und Räterepublik, beteiligt gewesen waren. Man hatte den Gefreiten A. H. zu einer solchen Untersuchungskommission kommandiert. Er hatte sich bewährt. Er hatte alle verurteilt, die vor sein Tribunal kamen, ohne Ausnahme, wahrscheinlich auch ohne Unterschied und ohne Gerechtigkeit.
    Aber daran hätte man bloß seinen Fanatismus erkennen können, nicht aber die unheimlichen Kräfte. Diese sollten bald nachher entdeckt werden. Jetzt ließ man ihn nämlich an einem Kurs teilnehmen, in dem die Soldaten politisch ›belehrt‹ wurden. Er sollte dem sozialistischen und republikanischen Gift durch Reden entgegenarbeiten. Er hatte sich als verläßlich erwiesen. Er stand auf der rechten Seite, auf der der Mächtigen.
    Der Generalstab versuchte, Agitatoren auszubilden, vorerst für die Propaganda im engsten Kreis. Die politischen Kurse der bayerischen Reichswehr bestanden nicht in langweiligen Diktatstunden, sie bestanden aus Vorträgen mit hitzigen

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