Ich - der Augenzeuge
weil seine Katinka ihre verliebten ›Mäuschen‹, ihre Freundinnen, im gemeinsamen Haushalt einquartierte, konnte ich über seine Schwäche nur mitleidig lächeln.
Rathenau fiel in dieser Zeit unter den Kugeln jugendlicher Fanatiker. Diese hatte man aus ihrer Entwurzelung herauszureißen und durch fanatische Irrlehren für ihr furchtbares Ziel zu begeistern gewußt. Sie waren des Glaubens gewesen, durch ihren grauenvollen Mord ihr Vaterland von einem jüdischen Verräter zu befreien.
Deutschland blieb still. Niemand empörte sich. Man bedauerte den armen Rathenau, man bedauerte die armen Fememörder, als sie sich, von allen Seiten auf einer verlassenen Burgruine eingeschlossen, das Leben nahmen. Man suchte nicht ernstlich nach den wahren Urhebern der Tat, von denen ich durch Helmut und seinen Freund R. wohl wußte, wo sie zu finden waren, und der entfesselte Patriotismus der zwei Fanatiker schien vielen eine Entschuldigung. Es wäre der Augenblick für eine Revolution gewesen, es wurde aber nur ein Ehrenbegräbnis für Rathenau.
Mein Vater kam zu mir. Er teilte mir mit, er wolle das Heidi heiraten. Vroni und die Kinder hätten das Geld von meiner Mutter angenommen und dadurch gezeigt, daß sie mit Geld abzufinden seien. Er habe Vroni sicherlich geliebt, aber er müsse Heidi seine Dankbarkeit beweisen, das verlange seine Ehre als Mann. In seiner falschen Bescheidenheit tat er, als wollte er Heidi durch den Ehering für die Dienste belohnen, die sie meiner Mutter im Laufe der Krankheit erwiesen hatte. Ich wußte es besser. Ich wußte, meine Mutter war bei Torffeuer gestorben, und zwei Tage später hatte man Kohlen- und Holzfeuer gehabt. Aber ich widersetzte mich nicht. Vielleicht hätte sich mein Vater durch mich abhalten lassen, denn er schwankte noch, er kannte alle drei Frauen, meine strenge Mutter, die Vroni, das Heidi, und fürchtete als alternder Mann Heidis Herrschsucht. Vielleicht kam er deshalb zu mir, denn meiner Zustimmung bedurfte er nicht. Vroni wäre eine Sklavin gewesen.
Aber irgend etwas trieb mich, wie schon als jungen Menschen, allen gerecht werden zu wollen und, wie meine verstorbene Mutter sich ausdrückte, auf beiden Achseln zu tragen. Vroni hatte sich während der Kriegsjahre mühselig mit meinen Geschwistern durchgeschlagen und hatte mehr als einmal die Gelegenheit zu einer Ehe mit einem Arbeiter oder einem Kleinbauern durchgehen lassen, weil – –. War es meine Schuld? Und doch! Niemand anders als ich hatte sie durch meine Zuwendung der 20 Mark allmonatlich durch viele Jahre in den Glauben versetzt, mein Vater liebe sie noch, mehr denn je, denke aufrichtig besorgt an sie und an die zwei Kinder und werde als ein ›feines Geschirr‹ ein altes ungeschriebenes und unverbrieftes Versprechen einlösen, sie nach dem Tode meiner Mutter zu heiraten. Nun war meine Mutter nicht mehr auf der Welt. Mein Vater war frei, er war wieder vermögend, gesund, unabhängig, er konnte tun, was er wollte. Ich stand objektiv über den Parteien, dachte ich. Auf der einen Seite die verblühte, alternde Vroni mit der unheilbaren Verbitterung über die verlorenen schönen Jahre, ohne Bildung und uns allen als Proletarierin im Grunde abgeneigt (ihre Blicke am Grabe meiner Mutter sprachen zu deutlich), und auf der anderen Seite Heidi, eine Lehrerin, aus gutem Hause, blühend, optimistisch, nicht ohne Geld und mit guten gesellschaftlichen Fähigkeiten, eine ausgezeichnete Hausfrau. Ich ließ also den Dingen ihren Lauf, und sie endeten zum Entsetzen und zur furchtbaren Enttäuschung Vronis mit der Verheiratung meines Vaters mit Heidi. Mein Vater liebte mich deshalb nicht mehr als früher. Heidi hatte mir nie getraut, und Vroni haßte mich, weil sie glaubte, ich sei es, der meinen Vater gegen sie aufgehetzt und die Ehe hintertrieben hätte.
Ich war auf einen anderen Ausweg gekommen und bot ihn Vroni und ihren bald schon erwachsenen Kindern aus freien Stücken an. Ich brauchte eine Haushälterin in meinem Arzthaus an der Straße von S. nach T. Ich hätte gern Vroni und ihre Kinder bei mir aufgenommen. Ich hätte versucht, die Kinder zu erziehen und zu fördern, ich wollte Bruder und Schwester in ihnen sehen, was sie doch von Natur aus waren. Nichts davon geschah. Vroni spie Gift und Galle, als ich ihr dies anbot. Sie sei lange genug Dienstbote und Fabrikarbeiterin gewesen, sie wolle die Frau meines Vaters sein oder gar nichts, das habe sie durch ihre Treue verdient usw. Sie ging sogar so weit, daß sie schrie, sie
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