Ich - der Augenzeuge
seiner Garde gingen unter in frenetischem Getöse.
Wie damals bei den Gurkhastürmen war mir jetzt heißes Menschenblut zwischen die Lippen gespritzt. Und Angelika, die ewige Hausdame, die adelige Witwe, stöhnte tiefer auf als in meinen Armen, Schauer über Schauer rann über ihr schon so welkes Gesicht, das Gesicht, abwechselnd verkrampft und in höchster Lust aufgelöst, war aber jetzt kindlich geworden, voll Dankbarkeit – und Reinheit. Nicht mir, ihm war sie verfallen. Ich war ihr ein Mann, er ein Gott. Ich tat ihr gut, er tat Wunder.
Ich fuhr schweigsam heim. Ich war schnell wieder zu Bewußtsein gekommen. Ich war für meine Person der geistigen Übermacht H.s entgangen, denn ich sah die Gefahr. Vielleicht bereute ich einen Augenblick lang, was ich im Herbst 1918 getan hatte. Ich hatte eingreifen, handeln, herrschen wollen. Ich war dem Schicksal unterlegen, während ich es in meiner Gottähnlichkeit hatte kommandieren wollen. Ich war machtlos, denn ich war allein.
Zu Haus erwartete mich eine kurze Nachricht von Heidi, die Torfstecher aus dem Moor seien dagewesen und hätten mich gebeten, so schnell wie möglich zu ihnen zu kommen, weil die Frau schwer krank sei. Ich trennte mich von Angelika, nahm meine Tasche mit Instrumenten, vorher aber ging ich an das Fenster und holte aus einer kleinen Nische im Mauerwerk, die von dem wuchernden Efeu verdeckt war, eine Kassette hervor, welche die Papiere über A. H. enthielt. Ich überlas sie noch einmal. Vielleicht waren sie eine Waffe gegen ihn, eine Stütze für die, die ihm nicht verfallen durften, die nicht blind sein durften wie die Masse und er. Ich wollte die Papiere also verbergen. Vielleicht konnten sie der Welt noch von Nutzen sein.
Während ich den Weg zum Moor einschlug, der mir aus Jugendjahren wohlbekannt war, überfiel mich eine gute Müdigkeit. Ich freute mich darauf, nach kurzer Zeit wieder heimzukehren und tief zu schlafen. Es kam mir dabei etwas in den Sinn, was ich bis jetzt nicht bedacht hatte, seine schwere Schlaflosigkeit und seine völlige Liebeslosigkeit. Seine Unersättlichkeit, das fressende, alles an sich heransaugende, alles in sich verschlingende Feuer seines Wesens. Vielleicht war er deshalb so fanatisch, so engherzig, unritterlich, böse, so haßerfüllt, weil ihm sowohl die Liebe als auch der Schlaf versagt waren.
Es war eine kalte, sternklare Nacht, das Moor war gefroren, man konnte sich ruhig vorwärts wagen. Die Osterseen waren wie festes Land, das Eis federte nicht unter meinen Schritten. Dies kürzte meinen Weg sehr ab. Bald hatte ich die Stelle erreicht, wo ich als junger Mensch in Lebensgefahr geraten war. Ich hatte vor, an dieser Stelle die Kassette zu vergraben, hier konnte sie niemand vermuten. Leider hatte ich nicht damit gerechnet, daß der Boden steinhart war, ich ließ es also vorläufig sein, ging zu den Torfstechern, versorgte die Frau und kam wieder heim.
Als ich die Kassette am nächsten Tag aus ihrem Versteck hinter dem Efeugerank herausholte, kam es mir vor, als ob sie nicht mehr in der gleichen Lage sei. Einerlei, sie war nicht geöffnet worden, glaubte ich, und das zweitemal gelang es mir, sie tief genug im Moor einzugraben. Ich sagte mir freilich, ich müsse sie noch vor Anbruch der warmen Jahreszeit wieder hervorholen, sonst versank sie im Sumpf. Der Frau des Torfstechers ging es über Erwarten gut, und in einigen Tagen war sie ganz außer Gefahr. Ich nahm kein Geld von den armen Leuten. Bei diesem kleinen und für mich gefahrlosen Zeichen von Widerstand gegen H. blieb es nicht. Helmut kam im Auftrag des Hauptmanns R. zu mir, sagte mir, große Dinge seien im Gange, auch ich hätte nun das Wunder A. H. erlebt, man zähle mit mir und erwarte etwas. Zu großen Zielen gehörten auch große Geldmittel. Ich sah ihn erstaunt an, denn er mußte wissen, meine Einnahmen waren klein und reichten gerade nur zum Leben. Angelika besaß fast nichts mehr, seitdem ihren Ersparnissen die Entwertung der Kriegsanleihen den Rest gegeben hatte. Als ich es von ihr erfuhr, habe ich nicht triumphiert, weil sich meine Vorhersage aus dem Jahre 1916 durch die Inflation bewahrheitet hatte. Ich habe sie bemitleidet, getröstet, habe versucht, ihren fanatischen Haß gegen Weimar, das sie statt der Niederlage für die Katastrophe verantwortlich machte, abzuschwächen.
Sie gab aber nur scheinbar, mit Küssen und Liebkosungen, nach, sie blieb im Grunde fanatisch und verstockt. Und so sehr die alternde Frau mir zu Füßen lag, so tierisch
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