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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Weiß
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eins, zwei, drei, schlicht und sachlich. Das war eine Auszeichnung. Von Zion schwiegen sie.
     
    Ich fühlte mich sehr elend, aber mein Widerstand war nicht gebrochen. In meiner Mißhandlung trat eine Pause ein, man brachte mich in eine Krankenbaracke, obgleich andere, denen es noch jämmerlicher erging, in den großen Baracken blieben und alles ertragen mußten. Ein paar Tage später bekam das Lager einen Besuch, es war Helmut, der einen hohen Rang in der SS bekleidete und der eine Mission ausländischer Journalisten durch das Lager führte. Man hatte uns neue Wäsche gegeben, das Essen war reichlicher geworden, wir sollten nicht wie Tote auf Urlaub aussehen, sondern vielmehr dem neuen Deutschland, dem Dritten Reich mit seinen Erziehungsmethoden, seiner Menschlichkeit Ehre machen. Helmut zeigte den Fremden alles, die elektrische Zentrale, das Krematorium, in welchem man die Leichen verbrannte, um dann die Asche in verlöteten Zinkurnen den Angehörigen zu senden mit einer Rechnung über 35 Mark Kosten, er zeigte ihnen die Küchen in ihrer mustergültigen Sauberkeit, er zeigte ihnen ein paar elende Feiglinge von Häftlingen, die erklärten, die Behandlung sei nicht gar zu schlecht, und sie wünschten nur, man solle sie bald entlassen, da sie sich gebessert und den Führer aus ganzem Herzen lieben gelernt hätten. Helmut kam mit seinem Stab auch zu uns in die Krankenbaracke. Er erblickte mich sofort, als habe er gewußt, wo ich liege. Aber in seinem Gesicht regte sich keine Fiber, er machte nur eine vage kreisförmige Handbewegung, wie um den Journalisten zu sagen: ›Seht euch nur um, wir haben nichts zu verbergen. Wir machen die elenden Marxisten, Demokraten, Juden und Katholiken zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft‹ Er hütete sich wohl, ihnen die Lagerordnung oder die Ochsenziemer oder die winzigen Bunkerzellen zu zeigen, in welche man unsereinen stehend einsperrte, halbe, ganze Tage, halbe Wochen lang. Einen Menschen ohne Licht zu lassen, in tödlicher Einsamkeit, in erstickender Hitze, nicht fähig, sich das Leben zu nehmen – und immer stehen zu müssen, bis die Knie sich wundreiben an den Betonmauern, ist das nicht das beste Mittel, ihn zu einem guten Deutschen zu machen? Aber ich gewöhnte mir dank meiner Willensstärke die Empörung ab, da diese mir das Leben noch mehr verbittert hätte. Ich trug spartanisch, was mir niemand abnahm. Man wird stumpf. Durch diese Stumpfheit schont man den Rest Hoffnung, und er schützt einen davor, sich selber zu zerfleischen – zum Beispiel durch Reue.
    Ich dachte, ich müsse nun bald zurück in die große Baracke, auf die Pritsche, unter die Ochsenziemer, zu Gewaltmärschen von 15 bis 17 Stunden. Aber es schien sich etwas geändert zu haben. Entgegen meiner Erwartung beließ man mich weiter in der Baracke und verprügelte mich nicht mehr, erpreßte nicht mehr Geständnisse durch Torturen, und von den Papieren wurde nicht mehr gesprochen. Eines Nachts kam ein SS-Mann, der aus meiner Gegend stammte, nahm mich beiseite und sagte mir, ich hätte seinem Kinde, einem Knaben von zwei Jahren, einmal das Leben gerettet (ich erinnerte mich aber seines Jungen nicht mehr), und er wolle mir zum Dank eine wichtige Mitteilung machen. Einmal in jedem Monat würde der große Dynamo im Zentralgebäude revidiert und geölt. Auf fünf Minuten erlösche dann das Licht, und die Stacheldrähte verlören den elektrischen Strom.
    Nun konnte das eine Finte des Lagerkommandos sein, das mich auf einfache Weise forthaben wollte.
    Man gab vielen Häftlingen in aller Seelenruhe den Rat, durch Selbstmord zu enden, und stellte ihnen sogar Stricke zur Verfügung. Ich hätte dann den Vorzug gehabt, durch elektrischen Strom, binnen einer Sekunde also und ohne Entschluß zum Selbstmord, ohne langes Leiden zu sterben, durch unglücklichen Zufall. Andererseits war es aber auch durchaus möglich, daß sich meine Angehörigen, Heidi und Angelika und mein Vater, um meine Freilassung bemüht und daß sie viel Geld gezahlt hatten, denn Geld hatte immer Kurs bei der Partei, besonders wenn es große Summen waren. Im Grunde konnte ich es doch nicht glauben. So schwankte ich bis zum Abend. Dann aber begann der übliche Prügeldienst, die Schmerzenschreie erschollen von den Baracken her, und ich sagte mir, ich tue besser daran, es zu wagen. Allen Maßnahmen zum Trotz war es schon mehr als einem Häftling gelungen zu entkommen. Die Krankenbaracke war weniger scharf bewacht als die anderen, wer dort lag, war meist

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