Ich - der Augenzeuge
waren. Aber auch ich war immer noch nicht am Ende, ich hatte auch meiner Frau zuviel zugetraut – oder ich hatte in ihr etwas gesehen, das sie nie gewesen ist, und es erwartete mich noch eine bittere Nachricht.
Wir fuhren nach ein paar Tagen der Erholung in die Schweiz. Es war mir sofort sonderbar vorgekommen, daß meine Frau unseren gemeinsamen Paß mitgebracht hatte, den mir die Polizei in M. abgenommen hatte. Sie hatte alle Schlüssel, selbst den zum Safe in der eidgenössischen Bank von Basel. Ich wollte auf der Durchreise zur Bank, aber meine Frau sagte, ich müsse zuerst nach Hause, das heißt nach Bern. Meine Kinder erwarteten mich da. Das war eine Lüge, und zwar eine sehr ungeschickte. Viktoria hat ebenso schlecht lügen gelernt wie ich. Die Kinder waren mit meinem Vater und Heidi in M. Man hatte ihnen als halbjüdischen Kindern in S. das Leben unmöglich gemacht, obwohl es doch die Kinder eines geachteten Arztes und die Enkel eines sehr beliebten Holzfabrikanten ›deutschen Blutes‹ waren. In einer großen Stadt war es leichter, unterzutauchen. Mein Vater, Heidi und Angelika hatten das Opfer gebracht. Deshalb hatte ich die Villa meines Vaters leer vorgefunden. Warum wollte mich meine Frau so schnell aus Basel fort haben? Ich fragte sie, als sie kurz vor dem Betreten des Hotels ›Zum Bären‹ ihre Lüge mit den Kindern eingestehen mußte. Weil es in Basel angeblich von Spionen und deutschen Geheimagenten wimmele und ich in Bern besser aufgehoben sei.
Ich wartete aber nur ein paar Tage ab, um nach Basel zu fahren und die Papiere aus dem Safe zu holen.
Meine Frau hinderte mich unter tausend Vorwänden. Sie war leidend, das Kind, das sie bei meiner Abreise in die Schweiz vor bald einem Jahr erwartet hatte, hatte sie nicht geboren. Da sie bei der leisesten Anspielung auf diese traurige Sache fassungslos zu weinen begann, fragte ich nicht, weshalb ich nicht fahren sollte.
Sie hatte auch andere Geheimnisse vor mir. Sie traf sich mit Leuten, die ich nicht kannte und die mir nicht gefielen, sie hatte Geld zur Verfügung, von dem ich nicht wußte, woher es kam. Anfangs dachte ich, sie hätte sich einem anderen Mann angeschlossen. Warum sollte ich, der nun so vieles verstand, dies nicht verstehen? War ich denn nicht schon wie ein Toter gewesen, ohne Aussicht, wieder jemals frei umherzugehen? Hatte ich ein Recht, sie zu hindern, wenn sie den Rest ihres Lebens mit einem anderen Mann, vielleicht einem ihres Blutes, teilen wollte? Ich hätte ihr dies verziehen, ich wäre, wenn sie mir etwas Derartiges gestanden hätte, ihr sogar dabei behilflich gewesen, so gut ich konnte. Ich war in meiner Verblendung auf dem Punkt, ihr jetzt die Scheidung anzubieten, die sie mir vor einem Jahr angeboten hatte.
Sie weinte, es war ihre einzige Methode, mir zu antworten, darin glich sie ganz meiner Mutter. Endlich nahm ich heimlich den Safeschlüssel aus ihrem Schlüsselbund, fuhr nach Basel und öffnete den Safe. Die Papiere waren nicht da. Nur ein paar Banknoten, eine Menge zusammengeheftete Zeitungsausschnitte, ich weiß nicht mehr, aus was für Blättern und über welchen Vorgang. Ich kehrte wie betäubt heim, nachdem ich mich noch vergewissert hatte, ob es auch wirklich mein Safe war, den man ausgeraubt hatte. Meine Frau erwartete mich am Bahnhof. Diesmal weinte sie nicht. Sie sagte mir die Wahrheit. Helmut hätte sich mit ihr in Verbindung gesetzt. Sie hätte mich nur gegen die Herausgabe der Dokumente retten können, und was ich in dem Lager zuletzt erlebt hätte, sei abgekartetes Spiel gewesen. Die Stromleitung sei absichtlich unterbrochen worden, die Wache habe absichtlich beide Augen zugedrückt. War es nicht gut? War ich nicht gerettet? »Ich habe meinen ersten Mann durch seine eigene Schuld verloren«, sagte sie mir auf meine Vorwürfe mit kalter Stimme, »ich hatte keine Kinder von ihm und bin darüber hinweggekommen. Du hast nicht das Recht zu dem gehabt, was du getan hast. Du hast schlecht und ich habe recht gehandelt. Wir werden die Kinder herkommen lassen oder nach Paris, und du müßtest glücklich sein, daß es so gekommen ist.« Sie hatte recht, aber ich war nicht glücklich.
Vierter Teil
Wir entschlossen uns erst im Frühling des Jahres 1934, die Schweiz zu verlassen und nach Paris zu gehen. Ich war ein kranker Mann. Ich hatte mich nicht von den Mißhandlungen erholt, und wenn ich laut sprach oder mich lebhaft bewegte, waren die Stiche in der Brust kaum zu ertragen. Viktoria schonte mich. Aber dies quälte
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