Ich. Die Autobiographie
Bettwäsche und Vaterersatz. Nurejew lebte beseelt von seiner Tanzkunst, einerseits glücklich weg aus der Sowjetunion, andererseits depressiv wegen der Entfernung von seiner Mutter und dem Bolschoi-Ballett.
Die Wärme und das Aufgehobensein bei Visconti bauten bei mir Vertrauen auf. Endlich lernte ich innehalten. Ich fühlte mich in seine eingeschworene Clique ein, die sehr seriös und sehr ambitioniert war. Die Gespräche trainierten meinen Kopf. Vor allem aber sah ich mir seine Filme an, versuchte ihn zu verstehen. Der große italienische Filmregisseur ermöglichte mit seinen verschwenderischen Filmen epochaleErinnerungen. »Der Leopard« mit Burt Lancaster setzte der adeligen Klasse des blaublütigen Künstlers ein Denkmal.
Der Graf Luchino Visconti di Modrone mit dem Schloss Grazzano bei Mailand war nach dem Tod seines älteren Bruders Edouardo automatisch Oberhaupt der Familie und damit Fürst geworden: Duca di Milano. Sein Familienwappen, das nobelste Mailands, zeigt eine Krone. Die Viscontis sind der älteste Adel von Mailand. Luchinos Film »Der Leopard« ist eine opulente Erinnerung an die glücklichen Tage seiner Kindheit, unwiederbringlich wie der Palazzo der Familie mit den Gärten zum Naviglio hin. Ein Mailand der dreißiger Jahre, die blühenden Gärten sind verschwunden. Verzeihns, bittschön, meine Schwärmerei, aber auch das gehört zu diesem wundervollen Menschen, dessen Witwe ich bin. Hätte mich Visconti adoptiert, wäre ich heute immerhin ein Fürst. Für das Weib in unserem Verhältnis ein angemessener Titel.
Luchino legte keinen Wert auf seine Herkunft, seine Lebensphilosophie war eine Mischung aus rigorosem Wahrheitsfanatismus und radikalem Marxismus. Seine kommunistische Haltung suchte den Ausgleich zwischen Reich und Arm. Deshalb auch seine sozialkritischen Filmstudien über die Armut, das Leid der Arbeitslosen in seiner Heimat wie in »Rocco und seine Brüder«. Eine logische Folge seiner neorealistischen Filme in den vierziger Jahren: »Von Liebe besessen« und »Die Erde bebt«. Damals gab es nur Faschisten oder Kommunisten. Er war gegen Faschismus.
Er ließ sich stets von seinem Instinkt leiten, sein suchender Schönheitssinn führte ihn schon in den dreißiger Jahren zu Jean Renoir, den er wegen dessen ästhetischen Einsichten zeitlebens bewunderte. Unser späteres Haus in der Via Salaria 366 und sein Schloss auf Ischia repräsentierten seinen unfehlbaren guten Geschmack, seinen Stil im privaten und gesellschaftlichen Leben. Er hatte eine klare Vorstellung von den Dingen und den Menschen. Es war nicht möglich, ihn davon abzubringen. Aber er bekannte sich auch unmissverständlich zu seiner eigenen Wahrheit. Ich glaube, dass die Magie seiner Filme und die Konsequenz seiner Freundschaften für sich sprechen. Mit dieser Konsequenz stand Visconti genauso zu seinen Fehlurteilen wie zu seinen Stärken. Er lebte Wahrhaftigkeit, beschönigte nichts. Typisch Skorpion, er war sogar doppelter Skorpion.
Ich, Zwilling, der nicht plante, sich ungerne festlegte, getrieben war von Wüschen und Träumen und durchs Leben wilderte, war im tiefsten Innern meines Selbst völlig haltlos. Mit Luchino hatte ich einen Hafen gefunden. Seine Sicherheit wurde meine. Seine Liebe ließ meine Liebe zu mir selbst zu. Pah, es ist komplizierter, als ich dachte, meine Gedanken zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Allein, wenn ich daran denke, wie viel ich Luchino zu verdanken habe. Mit ihm lebte ich Liebe, Verehrung, Gelassenheit, Furcht, Disziplin, Streit, Energie, Kraft.
Er setzte mir nicht nur mit der Rolle des Bayernkönigs Ludwig II. für immer ein Denkmal. Er war einfach alles für mich. Damals saß ich aber nicht da und dachte mir: Gott, o Gott, jetzt wirst a Weltstar. Jetzt hast du es geschafft. Jetzt fliagst über den Wolken. Nix fliagt über den Wolken. Das musst dir schon selbst erarbeiten. A Hochstapelei is das Filmgschäft schon. Das hat mir Luchino von Anfang an auf den Kopf zugesagt. I mein, wenn man noch nix is, gibt’s viel Arbeit. Luchino hat mit mir das gleiche gemacht wie mit Alain Delon. Aber mich hat er sehr respektiert. Mit keinem anderen hätte ich das geschafft. Seine Perfektion forderte alles von mir. Nicht nur in »Die Verdammten« musste ich wahnsinnig arbeiten, viel mehr ackern als Ingrid Thulin oder Dirk Bogarde. Jeder Film forderte mein ganzes Herzblut.
Nach Luchino wusste ich lange Zeit nicht mehr wohin. I glaub, i hab viel Zeit verloren für Mist. Dabei will i doch nur geliebt
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