Ich. Die Autobiographie
Schattierungen, aber deshalb bin ich noch lange kein buntscheckiger Papagei, der alles nachplappert. Meine Seitensprünge waren immer höchst amüsant. Es wäre schade, wenn ich sie nicht erlebt hätte. Behandelte mich Luchino mal schlecht, quälte ich ihn bewusst mit Erzählungen darüber, rieb ihm meine Geschichtchen unter die Nase. Erfunden natürlich, um ihn zu provozieren.
Ende November 1965 bin ich zu Visconti nach Rom in die Via Salaria 366 gezogen in seine herrliche, hinter Pflanzen und Bäumen versteckte Villa mit den riesigen Blumengärten. Dort wohnte er mit seinen sechs Afghanen. Einer der Hunde, der einzige große schwarze, durfte zu Luchino ins Haus, die blonden blieben draußen. Ein Stab von zehn Angestellten lebte im Personaltrakt.
Hatte Luchino in mir den Partner seines Lebens gefunden? Mein Vorgänger, ein deutscher Schauspieler im »Delon-Look«, langweilte ihn längst. Ihn hatte Luchino gleich über die neue Situation informiert. Vermute ich. Darüber haben wir kein Wort gewechselt. Ich weiß nicht, was Visconti zu ihm gesagt hat, das ging mich auch nichts an. Ich zog mit meinen Louis-Vuitton-Koffern ein, am nächsten Tag reiste der Deutsche mit seinem Volkswagen nach München ab. Wir lernten uns kurz kennen, für mich eine ganz normale Situation. Ich wusste, das war Luchinos Ex und jetzt bin ich dran.
Ich! Die erste Nacht verbrachte ich im Gästezimmer, in dem auch schon Alain Delon und Romy Schneider geschlafen haben etc. etc. Luchinos Bett steht heute in meiner Wohnung in der Via Nemea in Rom. Es ist das einzige, was ich nach seinem Tod aus seiner Villa in der Via Salaria mitgenommen habe. In diesem Bett schlafe ich seither.
Mein Appartement in Luchinos Villa bestand aus einem Entree, das auch Frühstückszimmer war, Schlafzimmer, Ankleidezimmer, Bad und Balkon auf der ersten Etage. Neben meinem befand sich Luchinos endloses Appartement.
Die Presse stürzte sich in Rom auf mich. Der Neue vom Meisterregisseur musste beschrieben werden. Suspector, das römische Skandalblatt, faschistisch-kapitalistisch orientiert und folglich voller Verrisse der Visconti-Filme, berichtete sehr reißerisch und unhöflich auf seiner Klatschseite »Rom bei Nacht« von den neuen Verhältnissen in der Via Salaria 366. Sie nahmen scheinheilig Anstoß an Luchinos neuem Gigolo, der in Rom ein offenes Geheimnis war. Angesäuert fragte sich Luchino, was Prinzessin Robina Robillon, so hieß die Klatschkolumnistin, eigentlich wolle, ihr eigener Bruder sei doch auch einer von denen. Stronza, povera Stronza.
Die ersten Probeaufnahmen machte Luchino 1964 mit mir. Ich zitterte vor Aufregung, es war furchtbar. Vier Seiten gab er mir zu lesen. Ein Horror-Casting mit starrem Blick auf die Kamera. In dem Film »Die Hexen« mit Silvana Mangano spielte ich eine kleine Rolle als Hoteldiener. Ich weiß nicht mehr, wie oft die Szene wiederholt werden musste, weil ich den Kaffee verschüttete. Ich, ausgebildeter Hotelfachmann, konnte erst im zigsten Anlauf den Espresso servieren. »Wenn du ein guter Schauspieler werden willst, brauchst du Unterricht«, sagte er. Ein Privatlehrer kam jeden Tag ins Haus.
Als nächstes schickte er mich wieder nach London auf eine Schauspielschule. Ich übte die Klassiker durch und färbte mir orangefarbene Streifen ins Haar. Er schenkte mir damit wieder ein paar unvergessliche Nächte in Swinging London. Um mich an die Gesetze des Films zu gewöhnen, spielte ich in »Die jungen Tiger« mit, der 1967 gedreht wurde.
Das Filmen ist wie eine Insel, auf der die Uhren anders gehen. Das war eine große Umstellung für mich. Aber ich konnte wie ein preußischer Soldat meine innere Uhr auf das, was gefordert wurde, stellen. Der Film war mein Traum. Mein Liebhaber und Dämon zugleich. Ich saugte meine Erfahrungen auf wie ein halb Verdursteter in der Wüste, während Luchino schon an dem Drehbuch für »Götterdämmerung«, so hieß der Arbeitstitel von »Die Verdammten«, arbeitete.
Für ihn eine Liebeserklärung an Deutschland, an das Land der Dichter und Denker. Aber auch eine mahnende Erinnerung an das Land Hitlers, den viele Jugendliche 1969 nicht mehr als den Verbrecher kannten, der er war. Luchino sah die Gefahren für das Emporkommen von diktatorischen Regimes auch in der Verdrängung der Vergangenheit.
Bis heute bin ich politisch überhaupt nicht interessiert, aber Luchinos Betrachtungsweisen weckten zeitweilig mein Interesse an Zeitgeschichte. Er wollte auch nicht ein Abbild der Nazi-Wirklichkeit
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