Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
vor den Bus, schaltete das Blaulicht an und leitete ihn per »Bitte folgen« zum beleuchteten Kontrollplatz. Wie aus dem Nichts tauchten rechts zwei Einsatzfahrzeuge auf, die den Bus flankierten und sofort die Türen besetzten, um zu verhindern, dass Passagiere ausstiegen. Das war die einzige Möglichkeit, die Situation unter Kontrolle zu behalten. Der Busfahrer wurde angewiesen, über Lautsprecher durchzusagen, dass nun eine allgemeine Personenkontrolle stattfinden würde. Jeder Fahrgast sollte auf seinem Platz bleiben, Ruhe bewahren und seine Ausweispapiere griffbereit halten.
Ein Beamter ging, abgesichert durch einen zweiten, von Sitzreihe zu Sitzreihe und sammelte die Pässe ein. Er nahm jeden Pass einzeln, klappte ihn auf und warf einen Blick in das Gesicht des Inhabers. Lichtbildabgleich! Stressmerkmale? Sein Kollege übernahm die Dokumente und sammelte sie in einem grauen Karton. Wieder beim Fahrer angekommen, gaben sie die Schachtel ihren Kollegen draußen und behielten Stellung im Bus. Die Türen blieben geschlossen. Kein schöner Job. Gereizte Stimmung. Die Leute wollten nach fünfundzwanzig Stunden Nonstop-Fahrt mit wenigen Pausen nur noch eines: raus! Sie mussten aufs Klo oder wollten rauchen. Oder einfach nur endlich an die frische Luft. Es musste jederzeit mit Übersprungshandlungen gerechnet werden. Insbesondere natürlich von jenen, für die im Moment alles auf dem Spiel stand. Wie würden die vier illegal Reisenden sich verhalten? Versuchen, unauffällig aus dem Bus zu kommen? Oder mit dem klassischen Kreislaufkollapstrick? Eine Schlägerei anzetteln, um im Chaos zu verschwinden? Waffen zücken? Alles war schon mal da gewesen. Den vier illegal Reisenden würde es gerade gar nicht gut gehen. Wer waren die vier überhaupt? Beim Einsammeln der Pässe
war noch keiner aufgeflogen. In der mobilen Einsatzzentrale mussten die Pässe nun einem genaueren Blick standhalten; ihre akribische Überprüfung begann. Bald hätte die Polizei die vier überführt. Und dann wären Sabine und ich am Zug, die Drahtzieher im Hintergrund unter die Lupe zu nehmen.
Bei einer Passkontrolle werden immer zwei Dinge überprüft. Zum einen, ob der Inhaber des Passes zur Fahndung ausgeschrieben ist und ob er sich legal im Bundesgebiet aufhält, zum anderen, ob der Pass gefälscht, verfälscht oder gestohlen gemeldet ist. Totalfälschungen von Pässen sind keine Seltenheit. Gut gemachte Totalfälschungen allerdings schon, bei denen ein Pass vom Papier über das Bild, Folien, Hologramm, Nummern und Namen von Grund auf neu hochgezogen wird. In den meisten Fällen halten diese Totalfälschungen dem ersten und für den Laien sogar zweiten Blick stand. Weit häufiger kommen in der Praxis allerdings Verfälschungen vor: An einem echten Pass oder Ausweis wird manipuliert. Beispielsweise wird durch einen hauchdünnen Schnitt in der Folie, direkt an der Kante, das Bild aus der Tasche gezogen und ein anderes hineingeschoben. Oder die Laminierfolie des Passes wird vorsichtig entfernt und das Lichtbild ausgetauscht. Eine andere gängige Methode besteht darin, mit einer scharfen Rasierklinge Zahlen oder Buchstaben zu verfälschen. Beispielsweise wird bei einer 8 der Bogen links unten abrasiert, also die oberste Papierschicht mit der Drucktinte abgetragen, bis die 8 am Ende wie eine 9 aussieht. Sehr gerne wird auch gegenverkehrt vorgegangen: Mit Tusche und feiner Feder wird eine 9 zu einer 8, oder eine 6 zur 8: Ein kleiner Strich von nicht mal zwei Millimetern oder eine entsprechend kleine Rasur zeigt eine vergleichsweise große Wirkung. Aus dem wegen gewerbsmäßiger Hehlerei gesuchten Turgut Celic, geboren 18.04.1978 in Ankara, wird Turgut Celic, geboren 19.04.1978 – ein unbescholtener Bürger. Aus dem zur Festnahme ausgeschriebenen
Hartmut Baumann, 16.01.1969, wird Hartmut Baumann, 18.01.1968, ohne Eintrag im Fahndungssystem. Ein kleiner Zahlendreher trickst bei der Abfrage den Polizeicomputer aus. Im Ostblock und in der Balkanregion werden mit steter Regelmäßigkeit professionell ausgestattete Fälscherwerkstätten ausgehoben.
Dank der in allen Pässen eingebauten Sicherheitsmerkmale wird es den Fälschern wenigstens nicht einfach gemacht. So gut wie alle Pässe bestehen weltweit aus fluoreszierendem Papier oder es sind einzelne fluoreszierende Fasern eingearbeitet. Dadurch springen Rasuren unter UV-Licht fast ins Auge; dilettantische fallen sehr schnell auf, gut gemachte bedürfen eines geschulten Blickes.
Sechsundfünfzig
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