Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
Passagiere und Pässe zu überprüfen, kann sich in die Länge ziehen. Ganz besonders dann, wenn bei der Überprüfung angenommen werden muss, dass vier der Pässe falsch sind, jedoch niemand weiß, welche vier. Das steigert bei dem einen Kontrolleur den Ehrgeiz, ein anderer will sich keine Blöße geben. Was auch immer der Antrieb sein mag, er führt in beiden Fällen zum gleichen Ergebnis: Jeder Pass, jede einzelne Seite jedes Passes, jede einzelne Zeile jeder Seite, jedes katalogisierte Fälschungsmerkmal wird akribisch unter die Lupe genommen. Das kostete Zeit und Nerven. In erster Linie nicht die Bundespolizei, sondern die Reisenden, die nach der langen Fahrt in dem engen, heißen und mäßig komfortablen Bus zunehmend ungeduldig wurden. Von meinem Beobachterposten aus konnte ich erkennen, dass der Busfahrer mit den Beamten diskutierte. Er versuchte ihnen wohl klarzumachen, dass er die Fahrgäste nicht im Bus halten konnte. Die Polizisten blieben freundlich, aber bestimmt.
Es dauerte weitere fünfundvierzig Minuten, ehe einer der Beamten den Schuhkarton mit den Pässen zurück in den Bus brachte. Gleich würden vier Personen abgeführt und ausführlich vernommen.
Dachte ich. Doch die Türen wurden frei gegeben, und zwar für alle. Ich traute meinen Augen kaum und auch nicht meinen Ohren, als der Einsatzleiter mir mitteilte: »Nichts!« Sein Gesicht sprach Bände.
»Wo san’s jetzt, eure Illegalen?«, wollte ein anderer von mir wissen.
»Habt’s keinen gefunden?«, fragte ich kleinlaut.
»Nix«, wiederholte der Einsatzleiter.
Normalerweise habe ich immer einen flotten frechen Spruch auf den Lippen. Jetzt war ich still.
»Wie? Nix!?«, fragte mich der SGL ungläubig. Er dachte wohl, ich scherze.
»Gar nix«, nickte ich.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Sabine.
»Weiter«, sagte ich.
Kriminalistische Lügenerkennung
In der Kriminalistik spielt der Sachbeweis nach wie vor die bedeutendste Rolle: »handfeste« Beweise wie gesicherte Spuren, Fingerabdrücke, DNA oder Wissen, das nur der Täter haben kann. Um diese festen und unverrückbaren Fakten wird eine möglichst clevere Vernehmungstaktik aufgebaut, immer auf der Suche nach Zusammenhängen und Widersprüchen und mit dem Ziel, den mutmaßlichen Täter, der aus Selbstschutz schweigt oder lügt, am Ende zu einem Geständnis zu bringen oder ihn notfalls auch ohne Geständnis überführen zu können. Verweigert er jede Aussage, was Anwälte gerne empfehlen, ist das ein deutliches Indiz dafür, dass sich das Ermitteln lohnt, dass sich Zeit, Energie und Know-how, die investiert werden, am Ende auszahlen. Jemand, der nichts zu verbergen hat, schweigt nicht!
Aber was tun, wenn harte Fakten, verwertbare Spuren und griffi - ge Indizien fehlen? Was tun, wenn der Partner/die Partnerin behauptet, diese bestimmte Nummer auf dem Handy nicht zu kennen, obwohl sie mehrfach in der Anrufliste erscheint? Was tun, wenn der kleine Peter dabei bleibt: »Ich war’s nicht!«, und dann keinen Ton mehr sagt? Dann sind mehr als reine Ermittlungsstrategie und Vernehmungstaktik gefragt.
Genau wie im Fall Sarai. Hier hatten wir immerhin einen starken Verdacht, eine Handvoll Hinweise von V-Männern, die dank ihrer Kooperation mit dem Geheimdienst nicht auf der Zeugenbank Platz nehmen mussten. Das hat für den V-Mann den Vorteil,
nicht als undichte Stelle bekannt zu werden, und für Geheimdienst, Polizei und Staatsanwaltschaft den Nachteil, dass sich die Begründung für Maßnahmen, wie Durchsuchungen, Festnahmen und Telefonüberwachungen im Täterkreis nicht auf V-Mann-Aussagen stützen lässt. Dieses System scheint sich selbst ad absurdum zu führen. Aber ohne diese, zugegebenermaßen nicht ganz konfliktfreie Konstruktion, würde den Sicherheitsbehörden weniger zugetragen. Der Staat wäre blind. Also erst einmal andere Schritte wählen. Weg von harten Fakten hin zu soften Skills.
Als Tichow die zwei Männer für Bülent von München nach Detmold fuhr, machte er den Verdacht, dass hier etwas nicht stimmte, vor allem an ihrem Verhalten und ihren körperlichen Reaktionen fest. Er habe Angst gerochen, wie er sagte. Kein wirklich kriminalistischer Ansatz, aber vermutlich ein treffendes Bild. Ich glaubte nicht, dass Tichow theoretische Werke zur kriminalistischen Lügenerkennung studiert hatte. Aber ich glaubte sehr wohl an seinen Instinkt, an seine Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe.
Mit einer aufmerksamen Wahrnehmung ist es im Grunde ziemlich leicht zu
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