Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
erkennen, ob andere Menschen lügen? Könnte man denken – wenn man es aus eigener Erfahrung nicht schon besser wüsste. Nein, das ist es nicht. Aber wir können zumindest das, was auch der berühmt-berüchtigte Lügendetektor kann. Wir können erkennen, ob jemand gestresst ist. Wer lügt, ist gestresst. Ein Lügendetektor zeichnet während der Befragung kontinuierlich den Verlauf von verschiedenen körperlichen Parametern wie Atmung, Blutdruck, Puls, elektrische Leitfähigkeit der Haut einer Person auf. Beim menschlichen Lügendetektor läuft das anders.
Die Lüge ist einer der komplexesten Prozesse, die unser Gehirn kennt. Lügen bedeutet, geistig immer doppelte, dreifache oder vierfache Buchführung halten zu müssen. Wer schon mal versucht hat, eine Affäre vor seinem Partner geheim zu halten, weiß, wovon ich spreche. Wer lügt, ist belastet, geistig und körperlich. Er verhält sich, Berufsbetrüger ausgenommen, nicht so, wie er sich üblicherweise verhalten würde. Ob er will oder nicht: Wer lügt, muss sich zu hundert Prozent auf seine Geschichte konzentrieren. Deshalb fehlt ihm die Konzentrationsfähigkeit an anderen Stellen. Er kann nicht alles kontrollieren, was er müsste, um hundert Prozent authentisch zu wirken. Schon gar nicht seine Körpersprache. Und wie klingen Stimme und Intonation? So wie sonst oder anders? Die erlebte Geschichte ist abgespeichert und kann leicht abgerufen werden. Vorwärts und rückwärts und nicht chronologisch. Der Lügner muss, bevor er etwas sagt, immer erst einmal an die Wahrheit denken. Erst danach kann er konstruieren. Dabei muss er ununterbrochen Zusammenhänge, Abhängigkeiten, Wissensstände und Widersprüche überprüfen. Und er hat wenig Zeit. Eher gar keine Zeit. Das erzeugt Stress. Alles muss rasend schnell gehen. Und das Wichtigste: Es darf nicht auffallen, also Druck ohne Ende.
Um diesen Druck zu erkennen, muss man zwei Dinge wissen:
Wie verhält sich mein Gegenüber normalerweise?
Wann genau sollte ich auf jede kleinste Abweichung von diesem Normalverhalten, die sogenannten Stressmuster, achten?
Eines vorweg: Ein Lügenerkennungsmerkmal, das man suchen, finden und auf das man sich dann zu hundert Prozent verlassen kann, gibt es nicht. Auch nicht den angeblich verräterischen Blick nach oben rechts. Die Kunst liegt darin, ein Abweichen vom gewöhnlichen Verhalten festzustellen. Und zwar am besten in
der Sekunde, nachdem Sie die Frage zu Ende gestellt haben. Denn bevor jemand lügt, muss er erst einmal die Wahrheit denken. Das ist extremer Overload fürs Gehirn. Da kann nichts anderes mehr kontrolliert werden.
Verhaltensabweichungen können unterschiedlich ausfallen. Wie sehen sie bei Ihnen aus? Wie gut kennen Sie sich? Vielleicht werden Sie ruhiger oder aktiver sein als üblich, auf Fragen verzögerter oder eiliger reagieren, nachlässiger oder bedachter antworten, Blicken sofort ausweichen oder den Bruchteil einer Sekunde zu lange standhalten, vielleicht müssen Sie grinsen oder lachen, vielleicht wird Ihr Herz schneller klopfen, vielleicht wird Ihr Atem schneller fließen, vielleicht rötet sich Ihr Gesicht, oder es bilden sich kleine Schweißperlen auf Ihrer Stirn – vielleicht. Was genau passiert, ist individuell verschieden. Aber eines ist sicher: Irgendetwas wird passieren! Und genau auf solche verräterischen Verhaltensänderungen und körperlichen Anzeichen von Stress achten Agenten.
Wenn ich vor einer Vernehmung frage: »Wie war die Nacht im Haftraum?«, »Hatten Sie Gelegenheit, mit Ihrer Frau zu sprechen?« , »Haben die Kollegen Sie gut behandelt?«, dann hat das nicht zwingend mit Small Talk zu tun. Beim einen Kollegen ist es wirkliches Interesse für das Gegenüber, beim anderen ist es eine kommunikative Strategie, um auf der Beziehungsebene zu punkten, aber es ist in jedem Fall immer auch eines: Die Antwort auf die Frage »Wie verhalten Sie sich üblicherweise?« Wie antworten Sie auf Fragen, die nicht wehtun, Fragen, die nicht ans Eingemachte gehen. Und darauf folgt dann eine sogenannte Hammer-Frage, das sind Fragen, die richtig an die Substanz gehen. »Wo waren Sie, als der Schuss fiel? Wo waren Sie zum Tatzeitpunkt? Wie kam die Leiche in Ihren Keller?«
Einen großen kleinen Haken gibt es allerdings. Genügt nicht schon die Tatsache einer Befragung durch einen Agenten oder Kriminalisten, um Stress auszulösen? Doch! Das macht die Sache kompliziert. Wahrscheinlich kennen Sie die Situation: Sie sitzen in Ihrem Auto,
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