Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
Holz geschnitzt wie Tichow. Daran wurden Sabine und ich wieder einmal erinnert, als uns die Nachricht erreichte, dass Philipps Mann nicht wie geplant in dem Bus nach Istanbul saß.
»Er hat es sich wohl anders überlegt.« Philipp zuckte mit den Schultern.
Sabine spielte mit einem ihrer Pinnsticker. Das sah fast ein bisschen gefährlich aus. Aber sie sagte nichts.
Philipp schon. »Es ist wie beim letzten Mal, als wir einen Auftrag für ihn hatten und er dann auf einmal die Chance gesehen hat, einen fetten Fisch zu angeln.«
»In einem anderen Weiher«, erinnerte ich mich.
»Warum setzen wir noch mal auf diesen Loser?«, fragte Sabine und funkelte Philipp an.
»Vor sechs Monaten ist einer von euren Leuten untergetaucht und hat seitdem keinen Ton mehr hören lassen«, verteidigte Philipp sich schwach.
»Das kann man ja wohl nicht vergleichen«, erklärte Sabine kühl. »Erstens sehe ich hier keinen Zusammenhang. Zweitens hat unserer nicht um fünf vor zwölf eine zugesagte Mission platzen lassen.«
Ich wechselte einen Blick mit Sabine und nahm die Abkürzung: »Plan B.«
Sicher ist sicher: die Schüttelfahrt
München, Donnerstag, 23. September, 10:45 Uhr
Von dem Handy aus, das ich nur für Tichow nutzte, rief ich ihn an.
Er meldete sich mit »Ja.«
Das war unser Zeichen, dass er frei sprechen konnte. Hätte er sich mit dem russischen »Da« gemeldet, wäre er womöglich gerade in schlechter Gesellschaft gewesen. Wahrscheinlich genoss er den Aufenthalt dort. Da er das auch weiterhin tun wollte, beendete er das Gespräch dann stets schnell mit der Zusicherung, dass alles nach Plan lief.
»Wann können wir uns treffen?«, fragte ich ihn.
»Wegen mir sofort. Später kommen die anderen zu mir. Und dann kann ich den ganzen Abend nicht mehr weg.«
»Okay, dann sofort.«
Normalerweise würden wir uns an Orten treffen, die ich als ungefährlich einschätzte: Orte, die wir beide kannten und am Telefon so beschreiben konnten, dass sie für Außenstehende klangen wie böhmische Dörfer.
Doch die Zeit drängte.
»Bist du in der Stadt?«, fragte ich ihn.
»Im Auto unterwegs. Euroindustriepark.«
»Dann treffen wir uns auf dem Parkplatz vom Kare.«
»Wo?«
»Möbel. Design. Outlet.«
Er lachte.
»In fünfzehn Minuten bin ich da«, kündigte ich an und drückte den roten Knopf.
Ich schaffte es in vierzehn. Tichows tiefer gelegter dunkler Mercedes SLK stand bereits auf dem Parkplatz. Ich rief ihn an. »Fahr mir nach.«
Ein Abschöpftreffen außer der Reihe birgt besondere Risiken. Im kriminellen Milieu misstraut jeder jedem. Hier wird nicht nur mit Abschottungsmaßnahmen gearbeitet, die Klubmitglieder werden auch aktiv überprüft, kontrolliert, überwacht. So etwas konnte jederzeit passieren. Im Falle Tichows hatten wir bereits zweimal Verfolger abgeschüttelt – deshalb nennt man eine solche Fahrt auch Schüttelfahrt. Es hätte fatale Folgen für Tichow gehabt, wenn unsere Verbindung aufgeflogen wäre. Seine exponierte Stellung innerhalb der Russenmafia war für uns operativ nur mit sehr hohem Aufwand im Griff zu halten. Und diesen Aufwand wert.
Tichows Cabrio mit den Ledersitzen, nach denen seine Klamotten manchmal sogar durch den Zigarettenrauch schwach rochen, folgte meinem 3er-BMW. Hintereinander passierten wir eine Schleuse. So nennt man eine Kombination aus fahrerischen Manövern, anhand derer ich todsicher erkennen würde, ob uns jemand folgte. Per Freisprecheinrichtung hielt ich Kontakt mit Tichow und gab ihm Anweisungen, wann abbiegen, wann stoppen, wann weiterfahren. Er kannte dieses Spiel schon und hatte unsere Schüttelfahrten in der Vergangenheit um einige clevere Varianten ergänzt. Nach fünf Ecken und einigen anderen Winkelzügen war ich sicher, dass wir unter uns waren. »Bieg da vorne rechts ab und warte auf mich«, wies ich ihn an, während ich selbst nach links fuhr und zur Sicherheit eine weitere Runde drehte, immer mit einem Auge im Rückspiegel.
In dem Coffee-to-go-Shop an einer Kreuzung waren wir die einzigen Kunden. Ich bestellte zwei Espressi bei einer schlecht gelaunten, gut aussehenden Bedienung und fragte Tichow dann:
»Was machst du morgen?«
Er grinste die Brünette an. »Arbeiten, was sonst. Du weißt, bin ich ein fleißiger Mann.«
»Eben«, nickte ich. »Du solltest mal ausspannen.«
Fragend musterte er mich.
»Wie wär’s mit einem Urlaub in der Türkei?«
»Türkei!« Tichow strahlte und erzählte mir von den Oben-ohne-Girls, die einen Kumpel
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