Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)

Überwachungsmaßnahmen. Sie ermöglichen uns Einblicke in abgeschottet agierende Milieus, die ganz bewusst lügen, tarnen und täuschen, weil sie naturgemäß kein Interesse daran haben, dass ihre Ziele, ihre Vorgehensweisen und ihre Netzwerke bekannt werden. Dieser Blick hinter die Kulissen ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen.
     
    Geld ist ohnehin nicht der Grund, warum ein V-Mann mit dem Geheimdienst zusammenarbeitet. Geld ist kein guter Motivator, jedenfalls nicht langfristig. In unserem Bereich gibt es weitere gute
Gründe, nicht aufs Geld zu setzen. Sobald ein V-Mann merkt, dass der Gehalt der Information, die er uns liefert, mit Geld aufgewogen wird, können wir einer Sache sicher sein: dass wir bei jedem Treffen tollere, spannendere Geschichten hören werden, immer angereichert mit Details, die wir auch tatsächlich überprüfen können. Jeder Name, jedes Autokennzeichen, jede Adresse und jede Telefonnummer, die der V-Mann liefert, wird in der Realität existieren. Aber die Beziehungen dazwischen, die Ideen in den Köpfen der Menschen, deren Verbindungen, Visionen und Ziele – ihnen werden wir nicht trauen können. Weil sie mit der Realität eventuell nicht mehr viel zu tun haben. Davon abgesehen würde immer auch der fade Beigeschmack zurückbleiben, für einen Verrat bezahlt worden zu sein. Da ist eine Rechnung offen, und die wird im Laufe der Zeit zu einem Problem.
    So kann keine langfristige Zusammenarbeit wachsen, die aber unser Ziel ist. Auch darin unterscheidet sich der Geheimdienst von der Polizei. Die Polizei arbeitet vergleichsweise projektmäßig. Es gibt einen Fall, dazu wird ermittelt, und es werden offene und verdeckte Maßnahmen gefahren, Durchsuchungen, Zugriffe, Identitätsfeststellungen, Festnahmen; dann: Deckel zu, Affe tot, Fall erledigt.
    Die Aufgabe der Geheimdienste ist es, Trends und Tendenzen zu erkennen. Immer zu wissen, wer wo mit wem welche Geschäfte macht. Das gelingt uns nur, wenn wir die richtigen Leute langfristig an den richtigen Stellen platzieren. Die Beziehungen zu V-Männern und V-Frauen sind auf lange Sicht angelegt, fünf bis acht Jahre sind keine Seltenheit. Das ist mit Geld allein nicht zu schaffen. V-Leute müssen anderweitig motiviert sein, mit uns zusammenzuarbeiten. Auch Druck, Erpressung oder rationale Argumente begeistern niemanden. Einen kleinen Ganoven an die Wand zu drängen und so lange Stress zu machen, bis er erzählt, wer die Aufträge erteilt, die Entscheidungen trifft und bei wem die kriminellen
Gewinne zusammenfließen, bringt nichts. Nicht bei V-Leuten und erst recht nicht im normalen Leben. Oder würden Sie jemandem gern einen Gefallen tun, der Ihnen auf diese Tour kommt? Wohl kaum. Sobald ich auch nur versuchen würde, Druck auszuüben, würde mein Gegenüber genauso reagieren wie jeder von uns in dieser Situation: Er wüsste auf einmal gar nichts mehr, könnte sich an nichts erinnern. Er würde an plötzlicher Amnesie leiden und lediglich das bestätigen, was man ihm ohnehin leicht nachweisen kann.
     
    Im Endeffekt haben wir als Agenten nur eine einzige Chance – die Beziehungsebene: Sie müssen Ihr Gegenüber dazu bringen, etwas für Sie zu tun. Für Sie ganz persönlich. Die Organisation, der Geheimdienst oder die Firma, das Netzwerk in Ihrem Rücken, wird die untergeordnete Rolle spielen. Fakt ist: Sie müssen Ihr Gegenüber dazu motivieren, dass es in Sie investiert. Das gelingt mit der größtmöglichen Menschenkenntnis – Ihrer Eintrittskarte auf die Erfolgsspur.
     
    Tichow hatte damals erst gezögert, als ich ihm eine Zusammenarbeit anbot. Mittlerweile sah er, dass ihm unsere Verbindung auch nutzte, auf einer Ebene, die er nie für möglich gehalten hätte: der Beziehungsebene. Zugeben würde er das natürlich niemals. Sein Risiko war hoch. Und es würde noch höher werden. In der Organisation, für die er als Kurier tätig war, war ein Vakuum entstanden, wie wir eine solche Situation nennen: Bei einer Kontrolle der Polizei war ein führender Kopf abgefischt worden. Die Organisation war in Zugzwang geraten. Sie musste seine Funktion schnellstmöglich wieder besetzen, um die Geschäfte am Laufen zu halten. Wir sahen hier eine Chance, Tichow in diese Position zu bringen. Strategisch war alles vorbereitet, wir hatten den entscheidenden Informationsvorsprung, um Tichow zu platzieren. So würden wir
in der Lage sein, noch tiefer in die Abgründe und noch höher in die Hierarchie zu blicken.
     
    Nicht jeder V-Mann ist aus demselben