Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
mir ein Grinsen nicht verkneifen. Tichows Auftritt war kinoreif. Als alles unter Dach und Fach war, raunte Bülent ins Telefon: »Mach bloß kein Scheiß! Wir sind letzte Woche kontrolliert worden von den Bullen!«
»Kennst mich doch«, erwiderte Tichow.
»Eben.«
»Hey Bülent! Chill mal!«
»Hast du alle Papiere, die du brauchst?«, wollte der wissen.
»Klar, oder was glaubst du, wie ich hierhergekommen bin?«
»Was bist du überhaupt? Russe? Oder Tscheche? Oder Pole?« »Ich gebe dir gleich Pole! Ich komme aus Russland, habe aber einen deutschen Pass.«
Tichow sprach die Wahrheit. Er war damals als sogenannter Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen, hatte jüdischstämmige Vorfahren und aufgrund dieser Tatsache von Anfang an einen privilegierten Aufenthaltsstatus. Sein Einbürgerungsverfahren war etwas schneller über die Bühne gegangen als üblich – für mich eine willkommene Gelegenheit, Pluspunkte bei ihm zu sammeln.
»Also bist du sauber?«, vergewisserte Bülent sich noch einmal.
Selbstverständlich nannte er seine Sorgen nicht beim Namen. Niemals würde er Rauschgift, Drogen, Waffen oder sonst was am Telefon sagen. Zu groß ist in diesen Kreisen die Angst vor Überwachung. Auch unter Tichows Leuten waren die klassischen Sprachcodes üblich. Anstatt auf den Punkt zu kommen, wird vernebelt.
Da heißt es nicht: »Die Lkw-Ladung mit dem Heroin kommt wie besprochen heute Abend um 18:15 Uhr bei dir in der Mönkebergstraße 15 an. Schalte bitte die Hofbeleuchtung ab und warte am Hinterausgang. Der Fahrer Peter Müller meldet sich rechtzeitig bei dir. Herzlichen Dank für deine Bestellung.«
Sondern:
»Hey, alles klar?«
»Ja, alles klar, bei dir?«
»Auch. Und sonst so?«
»Du, wie immer.«
»Okay. Bis dann.«
»Bis dann.«
Es gibt keine Orte, keine Namen, keine Uhrzeiten. In der Theorie. In der Praxis unterläuft ab und an mal ein Fehler. Darauf warten
wir. Das sind die Chancen, die wir nutzen. Durch unsere Überwachungsmaßnahmen, unsere Quellenmeldungen und unser Szenewissen können wir uns früher oder später doch erschließen, worum es geht.
Das Gespräch zwischen Tichow und Bülent hatte mir verraten, dass Bülent meinem V-Mann zutraute, etwas zu schmuggeln. Mir hatte Tichow schon länger nicht mehr von eigenen Deals – jenseits des Gesetzes – berichtet. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass hier und da noch etwas lief. Das zeigte mir mal wieder, dass es Bereiche in Tichows Leben gab, über die ich zu wenig wusste. Früher oder später würde er wieder mit irgendeiner Überraschung bei mir ankommen. Spätestens, wenn die Hütte brannte.
Rasterfahndung: alles beim Alten oder Hauptsache was Neues?
Wenn mich jemand nach einer Prognose für Philipp und Sabine gefragt hätte: Ich hätte abgeraten. Zu verschieden erschienen mir die beiden, und das lag vordringlich daran, dass Philipp so gleich ist. Und Sabine so anders.
Ich bin wie du, alles soll so bleiben, wie es ist
Manchen Menschen fällt automatisch meistens das Gleiche ins Auge. Sie nehmen die Welt und andere durch die Brille der Ähnlichkeit wahr. Der denkt wie ich. So ein Handy hatte ich auch mal. Menschen, die sich zum Gleichen hingezogen fühlen, mögen logischerweise keine Veränderung. Am wichtigsten sind ihnen Gemeinsamkeiten. Sie versäumen nichts, wenn sie Jahr für Jahr an denselben Urlaubsort fahren, denn: Was soll man lange herumexperimentieren, wenn man weiß, wo es einem gefällt. Außerdem vermisst der Mensch, der das Gleiche sucht, ja nichts. Er möchte keine Veränderung. Wieso sollte er sich darauf einlassen. Er kennt schließlich keine Langeweile. Trott ist ein Fremdwort für ihn.
Der Mensch, der vor allem das Gleiche hervorhebt, sucht bei jeder neuen Erfahrung zuerst einmal in der Vergangenheit nach Situationen, in denen es diesen Fall schon einmal gab. Damals habe ich es so gemacht – war das gut? Dann mache ich es jetzt
genauso. Allein die Tatsache, dass der Fall schon einmal vorkam, beruhigt ihn. Wirklich gefährlich sind vor allem die Dinge, die man nicht kennt, für die man auf Anhieb kein passendes Puzzlestück findet.
Ein Mensch, der das Gleiche bevorzugt, fühlt sich wohl, wenn er andocken kann. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, etwas Gravierendes verändert werden muss, kann er regelrecht in Panik verfallen.
Lachen Sie ihn nicht aus. Es ist dieselbe Panik, die einen Veränderungstypus überkommt, wenn er glaubt, vor Langeweile zu ersticken.
Wer sich
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