Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
hellhörig ist, hört das Gras wachsen auf den Pfaden der Menschenkenntnis.
Florian und Stella sitzen auf dem bequemen Sofa in ihrer Wohnung und schauen fern. Stella langweilt sich. Sie möchte nicht schon wieder einen Abend zu Hause verbringen, sie will lieber ausgehen. Und das sagt sie auch: »Jetzt hocken wir schon drei Abende vor der Glotze bei dem tristen Programm zurzeit. Ich will
hier nicht versauern. Lass uns doch mal einen Film im Kino anschauen! Ich will mal raus!«
Stella will weg. Das ist ihre Motivation. Weg von dem Sofa, raus aus der Wohnung. Stella ist ein Weg-Typ.
Florian will aber nicht weg. Stellas Einladung motiviert ihn null. Wenn er Saugnäpfe hätte, würde er sich noch fester mit dem bequemen Sofa verbinden.
Stella verstärkt ihre Bemühungen. Sie erklärt Florian, dass es nicht gut sei, wenn man jeden Abend zu Hause verbringe, auch für die Beziehung, man müsse doch mal was erleben, sie habe eine Statistik gelesen, wie wichtig es sei, nicht so viel fernzusehen. Und Florian rutscht immer tiefer in das Sofa. Gleich wird er zwischen den Kissen verschwinden.
Komisch! Bei seiner Exfreundin war das ganz anders. Mit der ist er immer gern ausgegangen. Florian hat keine Ahnung, woran das liegt. Womöglich ist Stella doch die Falsche?
Das vielleicht nicht. Aber sie kennt seine Bedienungsanleitung nicht so gut wie ihre Vorgängerin. Die wusste genau, dass sie Florian nur motivieren konnte, wenn sie seine Aufmerksamkeit auf ein Ziel lenkte. Nicht weg von einem Ort (Sofa), sondern hin zu einem Ort (Kino).
»Stell dir vor, der neue Film von Bruce Willis, auf einer riesengroßen Leinwand, mit Dolby-Surround-Sound, Popcorn und Nachos! Und danach noch ein oder zwei Cocktails – und wir sind mal wieder unter Leuten, da hätte ich Lust drauf.«
Saugnäpfe? Schon steht Florian in der Tür. Er braucht zur Motivation ein Ziel, eine Vision, eine Vorstellung dessen, wohin es geht. Das zieht ihn an. Da will er hin.
Stella nicht. Würde ihr Chef ihr vorschlagen: »Stella, was hältst du davon, in die andere Abteilung zu wechseln, da brauchen wir dringend jemanden wie dich zur Verstärkung, das wär doch was für dich, da könntest du auch dein Organisationstalent besser einbringen«, lockt er sie damit nicht. Um Stella zu motivieren, müsste ihr Chef einen anderen Ton anschlagen. »Du bist jetzt schon so lange hier, hier kennst du doch schon alles, wie wäre es, wenn …«
Weg von einem Ort, einer Befindlichkeit, einem Zustand.
Raus aus der alten Wohnung, weg von der frustigen Beziehung, Schluss mit der öden Stimmung. Das motiviert die Weg-Typen. Die Hin-Typen wollen ein Ziel erreichen, hin zu einem neuen Ort, hin zu einer Befindlichkeit, einem Zustand, rein in eine neue Wohnung und Beziehung.
Genau das führt zu Missverständnissen, denn wer Menschen in die falsche Richtung motiviert, wird scheitern. Der Hin-Typ will eben nicht weg, er will hin! Und der Weg-Typ will nirgends hin, sondern weg von da, wo er ist.
Die Frage lautet immer: Was ist jetzt im Moment attraktiv? Womit wird der größte Reiz ausgelöst? Was verspricht ein Maximum an Engagement? Das zu wecken, ist der Sinn der Motivation. Agenten setzen sie gezielt ein, nicht nur im Umgang mit V-Leuten.
Motivation ist nicht zu verwechseln mit Manipulation, im Gegenteil. Während die Manipulation einem anderen Menschen den eigenen Willen aufzwingen möchte und zu dessen Lasten und auf dessen Kosten geht, führt die Motivation emphatisch zur höchstmöglichen Erfolgsquote. Nicht gegen einen anderen, sondern für ihn. Widerstände aufgrund falscher Ansprache werden
vermieden, Ressourcen passgenau aktiviert. Was wiederum zu einem Wohlgefühl bei der betreffenden Person führt. Deshalb prägen sich Agenten diese beiden grundverschiedenen Haltungen ein. Es ist sehr leicht, sie zu entlarven.
Beide Typen verraten sich in der Art, wie sie Dinge erzählen, was sie betonen – und oft erkennt man ihre Zugehörigkeit auch an der Körpersprache. Weg-Typen nehmen häufig eine zurückgezogene Haltung ein, verschränken die Arme, machen einen eher abwartenden Eindruck. Unter Skeptikern findet man sie oft, denn ein Weg-Typ stellt nicht die Lösung, sondern das Problem in den Vordergrund, während der Hin-Typ die Probleme vor lauter Lösungsansätzen schon mal übersieht.
Wie bei jeder Klassifizierung gibt es nicht nur den reinen Hin-oder Weg-Typ, sondern auch Mischformen. Sie hängen von den jeweiligen Umständen ab. Damit
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