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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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man wollte? Ich beobachtete einen weißhaarigen Mann, der sich seiner Stützkorsage entledigte, und fragte mich, womit er sich ein so privilegiertes Leben verdient hatte. Ich hätte auf der Stelle mit ihm getauscht, Bruchband inklusive.
    Als ich noch in Chicago lebte, hatte ich mich nie lange mit Neidgefühlen aufgehalten, aber dort war es auch möglich gewesen, ein halbwegs geräumiges Apartment zu mieten und doch noch genug Geld fürs Kino oder ein anständiges Stück Fleisch zu haben. Mittellos in New York herumzuhängen bedeutete hingegen, ständig ein nagendes Gefühl des Versagens zu empfinden, da man überall Leuten begegnete, die nicht bloß mehr, sondern viel, viel mehr als man selbst besaßen. Mein Tagesbudget belief sich auf magere zwölf Dollar, und jede Extraausgabe verlangte an anderer Stelle ein Opfer. Leistete ich mir unterwegs einen Hotdog, gab's entweder abends Spiegeleier, oder ich musste die fünfzig Blocks zur Bibliothek laufen, anstatt die U-Bahn zu nehmen. Die Zeitung fischte ich häppchenweise aus Abfalleimern, und ich hielt dabei stets Ausschau nach guten Hühnerrücken-Rezepten. Auf der anderen Seite der Stadt, im East Village, forderten Graffiti dazu auf, die Reichen kleinzumachen, einzusperren oder wegzubesteuern. Obwohl mir der Gedanke zuzeiten reizvoll erschien, hoffte ich doch, die Revolution würde bis nach meinem Dahinscheiden warten. Ich wollte die Reichen nicht abgesetzt sehen, bevor ich nicht selbst zumindest kurzzeitig dazugehört hatte. Das Geld lockte. Ich wusste nur nicht, wie ich drankommen konnte.
    Ich hatte gerade einen kleineren Aushilfsjob bei Macy's, der sich dem Ende zuneigte, da sah ich, dass mein liebstes Stadthaus zum Verkauf freistand. Zeitungen hätten es als »Juwel« angepriesen. Es war ein dreistöckiges Gebäude in einem ruhigen, von Bäumen gesäumten Block, der einen eigenen Garten umschloss. In meinem Kopf gehörte das Haus mir. Schon oft hatte ich in das nussbaumgetäfelte Arbeitszimmer im ersten Stock gespäht und mir vorgestellt, wie ich die Bücherregale abstaubte. Es wäre eine Heidenarbeit, alles sauberzuhalten, aber ich war fest entschlossen, das auf mich zu nehmen.
    Wenige Monate später war das Haus verkauft und bekam einen neuen, knallrosa Anstrich mit orangerotem Zierrat. Die Farbkombination gab dem Haus eine aggressive, enervierende Ausstrahlung. Blickte man länger als eine Minute auf die Fassade, fingen die Türen und Fenster an zu flirren, als hätte man verdammt gutes Speed eingeworfen.
    Weil mir das Haus schon immer aufgefallen war, erschien es mir als ein seltsamer Zufall, als mich die neue Eigentümerin durch die Vermittlung eines entfernten Bekannten für drei Tage in der Woche als Aushilfe einstellte. Valencia war eine eindrucksvolle, selbstbewusste Kolumbianerin mit einem Schrank voller Miniröcke und einem einzigartigen Talent, ihre Nachbarn zu schockieren. Nachdem sie das walnussgetäfelte Büro in schreiendem Kanariengelb gestrichen hatte, spannte sie eine Wäscheleine über den schmiedeeisernen Balkon aus dem neunzehnten Jahrhundert, den der Vorbesitzer eigens aus New Orleans hatte herbeischaffen lassen. »Soll mir einer das Gesetz zeigen, das es einem untersagt, seine Wäsche in der Sonne zu trocknen«, schimpfte sie und zerknüllte einen von mehreren anonymen Beschwerdebriefen. »Diese Leute sollten sich vielleicht einmal in ihrem Leben um ihren eigenen Dreck kümmern und mich in Frieden lassen, Herrgott. «
    Gerüchten zufolge hatte Valencia schwer geerbt und für das Haus eine Million Dollar in bar hingeblättert, so wie andere Leute einen Gürtel oder eine Elektropfanne bezahlten. Sie redete nie über Geld, außer um zu betonen, dass sie keins habe, wie sie auch sonst alles tat, um ihre betuchte Herkunft zu verbergen. Das Mobiliar des Hauses bestand aus lauter ramponierten Tischen und Stühlen, die sie aus dem Sperrmüll gezogen hatte, und um alle anfallenden Kosten wurde gefeilscht. Verlangte ein Taxi-Fahrer vier Dollar, handelte sie ihn runter auf drei. Forderte jemand den zuvor vereinbarten Preis, wurde er oder sie beschuldigt, eine arme Immigrantin mit einem kleinen, ums nackte Überleben kämpfenden Geschäft und einem hungrigen Kind ausnehmen zu wollen. Entnervt vom Gezeter, gaben erstaunlich viele Leute zuletzt klein bei. Da es sich meistens um Einzelhändler und Arbeiter mit schmalem Portemonnaie handelte, war ich immer wieder überrascht, wie viel Spaß es ihr machte, ihnen den einen oder anderen Dollar

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