Ich ein Tag sprechen huebsch
Balance zwischen Sadismus und Masochismus gefunden. Jedenfalls ist es ein todsicheres Verfahren, allen Beteiligten den Spaß an der Sache gründlich zu verderben. Die Grundidee sieht vor, dass ein Student einen Text einreicht, der dann von allen gelesen und in der folgenden Sitzung einer fundierten Kritik unterzogen wird. Die Erfahrung zeigte, dass das Verfahren insofern funktionierte, als tatsächlich gelegentlich Texte eingereicht, fotokopiert und im Seminar verteilt wurden. Sie verschwanden gefaltet in Handtaschen und Rucksäcken, und das war dann der Punkt, an dem das System zusammenzubrechen schien. Fragte ich in der kommenden Sitzung nach kritischen Anmerkungen, verhielten sich die meisten Studenten so, als hätte die Aufgabe gelautet, die Geschichte an einem dunklen, verschlossenen Ort zu deponieren und größtmögliche Distanz zu dem Text zu bekommen. Selbst wenn die Texte laut im Kurs vorgelesen wurden, entwickelte sich nie eine längere Diskussion, da die Kombination aus Wohlerzogenheit und völligem Desinteresse die meisten Seminarteilnehmer davon abhielt, ihre Meinung ehrlich zu äußern.
Bis auf wenige Ausnahmen waren die Geschichten schlecht kaschierte Berichte aus dem Leben des Autors, der gerade versucht, die Hausaufgabe zu bewältigen. Ständig stiegen Mitbewohner aus der Dusche oder rückten Kellnerinnen wie aus dem Nichts mit den Zwiebelringen und Frühstücks-Burritos an, deren Flecken die Seiten des Manuskripts zierten. Die Schlampigkeit ging mir gelegentlich auf die Nerven, aber ich durfte mich nicht beklagen. Ich arbeitete an einer Kunsthochschule, wo der Schreibkurs allgemein als der leichteste Weg angesehen wurde, an seine Pflichtscheine in Englisch zu kommen. Meine Studenten hatten einen Platz bekommen, weil sie großartig malen, bildhauern oder ihren Körper in ermüdenden Details auf Video aufnehmen konnten, war das etwa nichts? Sie konnten lustige und unterhaltsame Geschichten aus ihrem Leben erzählen, aber sie in allen Einzelheiten auf Papier zu bannen, war für sie eher eine Strafe denn ein Vergnügen. Ich vereinbarte im stillen, dass, wenn meine Studenten bereit waren, mich als Lehrer durchgehen zu lassen, ich im Gegenzug zumindest so tun konnte, als wären sie Schriftsteller. Wenn jemand etwa unter seinem tatsächlichen Namen über einen Besuch beim Kieferchirurgen schrieb, betrachtete ich die Story als reine Erfindung und sagte: »Nun, Dean, verraten Sie uns doch bitte, wie Sie auf diese Person gekommen sind. «
Gab der Betreffende unverständliche Laute von sich und deutete auf den blutgetränkten Wattebausch in seiner geschwollenen Backentasche, fragte ich: »Wann haben Sie beschlossen, Ihren Protagonisten wegen eines eingekeilten Backenzahns zum Zahnarzt zu schicken?« Diese Art der Fragestellung eröffnete den Autoren kreative Freiräume und schützte jene, die etwas radikalere politische Überzeugungen vertraten.
»Verstehe ich das richtig«, fragte ein Student. »Sie behaupten also, wenn ich etwas laut im Raum sage, dann bin ich das, der das sagt, und wenn ich dasselbe auf ein Blatt Papier schreibe, dann ist das jemand anders?«
»Genau«, sagte ich. »Und das nennen wir Fiktion.«
Der Student zog seinen Schreibblock hervor, schrieb etwas auf und reichte mir das Blatt Papier, auf dem stand: »Das ist der größte Quark, den ich je gehört habe. «
Es war wirklich ein ziemlich aufgeweckter Haufen.
Als Mr. Sedaris hielt ich es für meine Pflicht, zu jeder eingereichten Geschichte einen lausig getippten Kommentar anzufertigen. Gewöhnlich konzentrierte ich mich auf die Stärken und schloss nach ein, zwei Seiten mit Profiweisheiten wie: »Zeichensetzung hat noch keinem geschadet«, oder: »Auf die Verben achten.« Bei einigen der längeren Traum-Sequenzen verlor ich schon mal die Geduld, aber im großen und ganzen kamen wir gut miteinander aus, zumal die Studenten meine Ratschläge entweder akzeptierten oder sie höflich ignorierten.
Probleme gab es nur, wenn jemand mit seiner Geschichte auf eine tiefe Kränkung oder erlittenes Unrecht aufmerksam machen wollte. Dies war der Fall bei einer Frau, die im Studentensekretariat als »Wiedereinsteigerin« geführt wurde, was so viel bedeutete, als dass sich ihr Sozialleben nicht im Umkreis der Uni-Cafeteria abspielte. Die Frau war gut fünfzehn Jahre älter als ich und begegnete meinen Lehrmethoden mit entschiedener Ablehnung. Sie leistete nie einen Beitrag zum Bettgeflüster oder zum Futterkrippen-Forum, und ich hatte allen
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