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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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abzuschwatzen.
    Valencia betrieb einen kleinen Verlag, den sie von ihrem grell bemalten Arbeitszimmer im dritten Stock aus leitete. Es war mehr ein Hobby als eine Verdienstquelle, aber die Arbeit befriedigte ihr Interesse an Kunst und einer gewissen, nur den eigenen Launen verpflichteten Art von Literatur. In den ersten beiden Jahren des Bestehens hatte sie zwei Gedichtbände herausgebracht, geschrieben von Autoren, die vor allem für ihre jähen Wutausbrüche bekannt waren. Ein- oder zweimal die Woche ging eine Bestellung ein, die ich zu bearbeiten hatte. Hin und wieder fiel ein Botengang an, oder ich musste ein paar Briefe kopieren, aber die meiste Zeit saß ich untätig am Schreibtisch und gestaltete in Gedanken das Haus um. Ein ehrgeiziger Mensch hätte sich vermutlich originelle Werbestrategien ausgedacht, die beiden wenig gefragten Titel unters Volk zu bringen, aber mir geht jeglicher Geschäftssinn ab, und die Anstrengung, wach zu bleiben, nahm mich schon genug in Anspruch.
    Wenn zum Monatsersten die Rechnungen für Telefon, Gas und Strom eintrafen, ließ Valencia mich die Geschäftsbücher durchgehen und die Namen sämtlicher Kunden herausschreiben, die ihr Geld schuldeten. Sah sie beispielsweise, dass eine Buchhandlung in London noch eine Rechnung über siebzehn Dollar offen stehen hatte, rief sie: »Siebzehn Dollar! Ich möchte, dass Sie sofort da anrufen und denen sagen, sie sollen das Geld schicken. «
    Mein Hinweis, dass die Kosten für ein Ferngespräch den ausstehenden Betrag übersteigen würden, schien sie nicht zu stören, da es hier um eine Frage des Prinzips ginge, wie sie sagte. »Rufen Sie gleich an, bevor die Tee trinken gehen. «
    Also griff ich zum Telefon und tat so, als ob ich wählte. Ich hätte nie laut werden und einen Engländer anblaffen können, mir Geld zu schicken, selbst wenn er es mir persönlich geschuldet hätte. Mit dem Hörer am Ohr blickte ich hinaus in den Garten und in die ordentlich eingerichteten Wohnungen von Valencias Nachbarn. Dienstmädchen in Uniformen trugen Tee-Geschirr auf silbernen Tabletts ins Zimmer. Männer und Frauen saßen auf Stühlen mit vier Beinen und konnten ohne den Schutz von Sonnenbrillen ihre Wände betrachten. Als beunruhigend empfand ich den Gedanken, dass ich tatsächlich in Valencias Haus gehörte, dass von allen Heimen New Yorks mein Platz hier an der Seite der Barfüßigen Gräfin war. »London meldet sich nicht«, sagte ich. »Ich glaube, drüben ist heute Feiertag. «
    »Auch gut, dann rufen Sie doch bitte den Laden in Michigan an, der uns noch zwölf Dollar und fünfzig Cent schuldet. «
    Am späten Nachmittag schauten regelmäßig ein oder mehrere verwahrloste Beat-Poeten vorbei, die immer ganz zufällig gerade in der Gegend waren. Sie waren für ihre legendären Freundschaften berühmter als für ihre Werke, aber das genügte Valencia, die sich mit solchen Männern umgab wie andere Frauen ihres Standes mit Regency-Teewagen oder Staffordshire-Terriern. Sie standen volltrunken vor der Tür und schleppten Fundstücke an, auf die sie kryptische Botschaften gekritzelt hatten. »Hier, hab ich selbst gemacht«, sagten sie. »Wollen Sie's kaufen?« Das ganze Haus war voll mit ihrem Zeug, und ich bekam immer wieder Ärger, weil ich Gregorys Styroporbecher oder Herberts Spezial-Wachsmalstift weggeschmissen hatte. Valencia begegnete diesen abgehalfterten Poeten mit äußerster Großzügigkeit. Sie lernte ihre Gedichte auswendig und sah über ihr schlechtes Benehmen gnädig hinweg, sie schenkte ihnen zu trinken ein und forderte sie auf, zu essen, aber wäre sie so arm gewesen, wie sie immer vorgab, hätten ihre Gäste garantiert nichts mit ihr zu tun haben wollen. Sie war ihnen gegenüber stets charmant und hilfsbereit, doch die unmittelbaren finanziellen Bedürfnisse der Dichter waren eindeutig stärker als der Wunsch nach einer aufrichtigen Freundschaft Wenn ich Valencia so sah, verstand ich, warum reiche Leute sich für gewöhnlich reiche Freunde suchten. Es war eine Sache, nicht gemocht zu werden, aber es musste schrecklich sein, ständig von jemandem ausgenutzt zu werden.
    Meine Karriere als persönlicher Assistent erreichte ihren Tiefpunkt an einem Sommermorgen, als Valencia mit einem Handzettel ins Zimmer geschneit kam, den sie aus dem Schaufenster eines Ladens für exotische Vögel gleich nebenan mitgenommen hatte. Unter der grobkörnigen Kopie eines Fotos, das eine Art Huhn zu zeigen schien, war die Beschreibung eines entflogenen

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