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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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dass ich ein schlechter Kenner meines eigenen Charakters bin. Ajatollahs sind flexibel. Ich bin es nicht. Vor die Wahl zwischen vier völlig vertretbaren Filmen gestellt, entschließen sie sich ausnahmslos für einen Rundgang durchs Picasso-Museum oder die Besichtigung von Notre-Dame und sagen: »Ich bin doch nicht nach Paris gekommen, um hier im Dunkeln zu hocken.«
    Es klingt jedes Mal wie ein schwerer Vorwurf. »Schon gut«, sage ich, »aber das ist das französische Dunkel. Es ist. . . dunkler als das Dunkel bei uns zu Hause.« Zu guter Letzt drücke ich ihnen einen Stadtplan und ein zweites Schlüsseletui in die Hand. Sie sehen sich Notre-Dame an, ich den Glöckner von Notre-Dame.
    Ich höre oft, es sei schändlich, in Paris zu leben und die ganze Zeit amerikanische Filme zu sehen, gerade so, als würde man nach Kairo fahren, um dort Cheeseburger zu essen. »Das hättest du auch zu Hause haben können«, erzählt man mir. Aber das stimmt nicht. Ich könnte dieses Leben nicht in den Vereinigten Staaten führen. Bis auf wenige Ausnahmen hat die Video-Industrie das amerikanische Programmkino ausgelöscht. Wer einen Film mit Boris Karloff sehen will, muss ihn auf Video ausleihen und daheim auf dem Fernseher anschauen. In Paris ist die Leihgebühr für einen Film auf Video genauso teuer wie die Eintrittskarte fürs Kino. Die Franzosen gehen gerne aus, um sich einen Film auf einer Großleinwand anzusehen. Jede Woche kann man aus wenigstens zweihundert Filmen wählen, davon mindestens ein Drittel auf Englisch. Neben den aktuellen amerikanischen Filmen läuft beinahe jeder ältere Film, den man schon immer mal sehen wollte. Als zu Ostern Die größte Geschichte aller Zeiten ausverkauft war, brauchte ich nur über die Straße zu gehen, wo Superfly lief, die zweitgrößte Geschichte aller Zeiten. Wenn es nicht gerade Kinderfilme sind, laufen alle Filme im englischen Original mit französischen Untertiteln. Wenn ein Schauspieler sagt: »Beweg deinen fetten Arsch, bevor ich was mache, das mir nachher leid tut«, erscheint unten auf der Leinwand nur: »Verschwinde.«
    Manchmal frage ich mich, warum ich mir den Französischkurs überhaupt angetan habe. »Ich bin sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, »Ich möchte mich herzlich für dieses üppige Mahl bedanken« - ich warte immer noch auf den Tag, an dem ich diese Gefälligkeiten anbringen kann. Seit ich in Paris bin, lautet der am häufigsten von mir gesprochene Satz: »Einmal, bitte.« Damit löst man an der Kinokasse eine Karte, und ich beherrsche den Satz recht gut. In New York gehe ich drei- bis viermal die Woche ins Kino. Hier habe ich auf sechs bis sieben Besuche erhöht, vor allem deshalb, weil ich zu faul bin, was anderes zu tun. Glücklicherweise gilt ein Kinobesuch heutzutage als intellektuelle Beschäftigung, gleichwertig mit der Lektüre eines Buches oder ernsthaftem Nachdenken. Es ist nicht so, dass die Filme anstrengender geworden wären, sondern viele Leute sind bloß genauso faul wie ich, so dass wir übereingekommen sind, die Meßlatte tiefer zu hängen.
    Die Umstände kommen meiner Faulheit entgegen. In einem Umkreis von fünf Straßenblocks um mein Apartment gibt es vier Multiplex-Kinos, in denen die neuesten Filme laufen, sowie ein Dutzend Programmkinos mit dreißig bis fünfzig Sitzen, in denen abwechselnd Retrospektiven mit bekannten und weniger bekannten Schauspielern, Regisseuren und Genres gezeigt werden. Das sind die Plüschkinos, die die Zwei-Uhr-Vorstellung von Honeymoon Killers auch dann nicht ausfallen lassen, wenn ich der einzige Besucher bin. Es ist fast so, als hätte jemand sein Privatgemach mit einer großen Leinwand und bequemen Sesseln ausgestattet. Die Frau an der Kasse verkauft einem die Karte, reißt sie in der Mitte durch und gibt einem eine Hälfte. Im Vorführraum wird man freundlich von einer Platzanweiserin empfangen, die den Kartenstummel prüft und ihn gerade so weit einreißt, dass ihre Gegenwart spürbar wird. Irgendwer muss irgendwann entschieden haben, dass diese Tätigkeit ein Trinkgeld verdient, also drückt man der Dame etwas Kleingeld in die Hand, auch wenn ich nie kapiert habe, wofür. Es ist ein unergründbares Mysterium, so wie die großen Steinköpfe auf den Osterinseln oder die Beliebtheit der Mini-Rucksäcke.
    Ich bin so dankbar für die Existenz dieser kleinen Kinos, dass ich selbst dem Vorführer noch mit Freuden ein Trinkgeld zustecken würde. Wie bei den Restaurants mit gerade mal drei Tischen frage ich mich, wie

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