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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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ins Spiel bringt, bin ich nicht mehr einfach nur amerikanischer Staatsbürger, sondern Amerika selbst, alle fünfzig Staaten einschließlich Puerto Rico, das da mit Soße am Kinn am Tisch sitzt.
    Während der Anhörungen zu Bill Clintons Impeachment-Verfahren pickte meine Französischlehrerin mich regelmäßig heraus und sagte: »Ihr Amerikaner, was seid ihr bloß puritanisch.« Meine Mitschüler aus Europa und Asien stimmten ihr eilfertig zu, während ich mir die Frage stellte: Sind wir das? Ich bin mir sicher, der Ruf ist nicht ganz unverdient, aber wie prüde können wir sein, wenn fast alle Amerikaner, die ich kenne, es schon mal zu dritt probiert haben?
    Ich hatte mir nie groß den Kopf darüber zerbrochen, wie Amerikaner im Ausland gesehen wurden, bis ich nach Frankreich kam und von mir ein bestimmtes Aussehen und Verhalten erwartet wurden. »Du dürftest eigentlich nicht rauchen«, erklärten mir meine Mitschüler. »Du kommst aus Amerika.« Die Europäer vermuteten, dass ich mir regelmäßig die Hände mit einzeln abgepackten Pflegetüchern reinigte und alle nicht pasteurisierten Milchprodukte automatisch verschmähte. Dass ich so dünn war, konnte nur heißen, dass ich erst kürzlich die fünfzig Pfund Übergewicht des typischen amerikanischen Hinterteils abgespeckt hatte. Drängte ich mich in den Vordergrund, war das völlig normal; blieb ich zurückhaltend, hatte ich offenbar Prozac eingeworfen. Woher haben die Leute solche Vorstellungen, und inwieweit treffen sie zu? Mit diesen Fragen im Kopf kehrte ich nach neun Monaten Frankreich zu einer fünfwöchigen Rundreise durch zwanzig Städte in meine Heimat zurück. Das Flugzeug hatte noch nicht in Paris abgehoben, als der New Yorker auf dem Nebensitz mich ansprach und fragte, wie viel ich für mein Rundflug-Ticket bezahlt hätte. Amerikaner sind berühmt dafür, ständig über Geld zu reden, und ich tue alles, um diesen Ruf weiter zu zementieren. »Rate mal, wie teuer dein Geburtstagsgeschenk war?« frage ich. »Übrigens, wie viel Miete zahlst du eigentlich?« - »Wie viel hat dich die Entfernung des einen Lungenflügels gekostet?« Die Franzosen kriegen jedes Mal einen Schlag, wenn ich den Mund aufmache. Sie scheinen solche Fragen als aufdringlich oder angeberisch zu empfinden, wohingegen sie für mich völlig normal sind. Über irgendwas muss man schließlich reden, und es scheint, als sei das Thema Geld in die Konversationslücke getreten, die entstand, als Gespräche über die Verfassungsversammlung von 1787 außer Mode kamen.
    Während der fünf Wochen in den Vereinigten Staaten verbrachte ich eine Menge Zeit in Flugzeugen und auf Flughäfen, wo das Image des Amerikaners als harter Arbeiter geradezu mit Händen zu greifen ist. Die meisten Fluggäste entsprachen dem Stereotyp, wohingegen die Mehrheit des Bodenpersonals sich mit aller Kraft dagegen wehrte. Beim Anstehen in langen Schlangen konnte ich mich spielend davon überzeugen, woher unser Ruf als freundlicher und gesprächiger Menschenschlag rührte. Die Unterhaltungen drehten sich in der Regel um die Unfähigkeit des Personals an der Kasse oder hinter dem Flugschalter, doch selbst wenn die Zeit knapp wurde, blieben die meisten Reisenden geduldig und gut gelaunt, weit eher bereit, die Sache mit einem Lachen abzutun, als groß rumzustänkern. Alle machten sie sich Hoffnung, ihren Flieger noch zu erwischen, pünktlich wegzukommen und ihr Gepäck am Zielort womöglich sogar wiederzusehen. Ursprünglich ein Volk von unerschütterlichen Optimisten, scheinen wir unsere Erwartungen mittlerweile merklich heruntergeschraubt zu haben.
    Ich dachte längere Zeit über den amerikanischen Optimismus nach, als ich auf dem Flug von Chicago nach San Francisco eine dieser Video-Sendungen verfolgte, die aus belanglosen Meldungen der Nachrichtenkanäle zusammengeschnippelt werden. Die Sendung beinhaltete den unvermeidlichen Report vom Typ »Wie sicher sind sie wirklich?«, in dem der Frage der Sicherheit von Essstäbchen oder Pappkartons nachgegangen wird, gefolgt von der jüngsten Untersuchung, die beweist, dass Menschen, die ihre Socken im Bett anbehalten, statistisch gesehen fünf Stunden länger leben als der Rest der Welt. Anschließend kam eine Human-Interest-Geschichte über eine Initiative der Stadt New York, Obdachlosen die Begegnung mit großen Kunstwerken zu ermöglichen. Der Beitrag begann mit einer eleganten Kunstwissenschaftlerin, die vor einem Rembrandt-Gemälde stand und auf eine Gruppe unrasierter

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