Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
Vom Netzwerk:
kümmerte mich nicht, denn es hätte bedeutet, mich mit dem zufriedenzugeben, was ich hatte. Anstatt in Bitterkeit zu versinken, habe ich gelernt, mich an Hughs Leben zu bereichern. Seine Geschichten sind über die Jahre zu meinen eigenen geworden. Ich meine damit nicht irgendeine innere Seelenverwandtschaft oder sonstigen Hokuspokus; ich bin ein ganz gewöhnlicher Dieb, der sich der Erinnerungen von Hugh genauso freizügig bedient, als wäre es eine Handvoll Kleingeld auf seiner Kommode. Wann immer meine eigenen Erinnerungen hinter den Erwartungen zurückbleiben, halte ich mich an seinen Geschichten schadlos. Mit Freuden erinnere ich mich manchmal an das purpurfarbene Gesicht des aufgeknüpften Mannes oder an das Dröhnen des Pistolenschusses in meinen Ohren, während ich die unter dem toten weißen Ferkel sich ausbreitende Blutlache betrachte. Auf der Rückfahrt vom Schlachthof tranken wir noch eine Cola im Dorf Mojo, wo der Tankstellenbesitzer ein paar Tische und Stühle unter einer Pergola aus dürrem Weinlaub aufgestellt hatte. Erst am späten Nachmittag waren wir zurück in der Schule, von wo aus ein zweiter Bus mich bis zur Einmündung der Coffeeboard Road brachte. Von dort durchquerte ich einen Eukalyptus-Hain, lief eine dürre Weide mit halb verhungertem Vieh entlang, vorbei an der dösenden Wache im Torhaus und geradewegs in die weit ausgebreiteten Arme meines Äffchens.
21 senkrecht
    Die Frage: »Warum müssen wir das lernen?«,kann jeder Lehrer einer weiterführenden Schule getrost antworten, das erworbene Wissen werde sich, ganz gleich, worum es geht, spätestens dann als nützlich erweisen, wenn man in die gesetzteren Jahre kommt und anfängt, Kreuzworträtsel zu lösen, um das furchtbare Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben. Genauso ist es auch. Latein, Erdkunde, die Götter im antiken Griechenland und Rom: Wer davon nie was gehört hat, muss mit den Kreuzworträtseln der Zeitschrift People vorliebnehmen, wo man Hinweise findet wie »Filmtitel, Vom verweht» oder»Werkzeug zum Einschlagen von Nägeln«. Für den Anfang ist das sicher nicht schlecht, aber der Stolz über ein vollständig gelöstes Rätsel ist ziemlich schnell verflogen.
    Ich habe gehört, das Lösen von Kreuzworträtseln helfe bei dem Kampf gegen fortschreitenden Alzheimer, aber ich persönlich bin aus einem ganz anderen Grund dazu gekommen. Auslöser bei mir war der Besuch eines Ex-Freunds vor einigen Jahren. Der Mann sah und sieht auch heute noch gut aus in einem Maß, dass es fast weh tut. In Eugene Maleskas Terminologie wäre er »ein Adonis«, wohingegen Will Shortz, augenblicklicher Rätselchef der New York Times, ihn als »Naturwunder« bezeichnen würde, verbunden mit dem Hinweis »verrenkt man sich den Hals nach«.
    Weil mein Ex-Freund so unverschämt gut aussah, hatte ich mir irgendwie eingeredet, er sei auch dumm, weil es einfach ungerecht war, dass jemand nicht nur mit einem wie gemeißelten Profil, sondern auch noch mit annehmbaren Konversationsgaben gesegnet war. Natürlich war er um einiges heller, als ich ihm zugestehen wollte, was er schon dadurch bewies, dass er mich zuletzt sitzenließ. Später landeten wir beide in New York, wo uns seit Jahren so etwas wie eine zwanglose Freundschaft verbindet. Eines Nachmittags schaute ich bei ihm im Büro vorbei, in der stillen Hoffnung, ihm seien vielleicht ein paar Zähne ausgefallen. Er saß zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch und kritzelte mit einem Kugelschreiber die letzten Wörter des Freitags-Rätsels der New York Times hin. Die Hauptstadt von Tuvalu, der Name eines längst vergessenen olympischen Gewichthebers, ein Wort für Derwisch mit fünfzehn Buchstaben. »Ach, das hier«, sagte er. »Ich mach's eigentlich nur, damit meine Finger beim Telefonieren was zu tun haben. «
    Ich war am Boden zerstört.
    Das Rätsel der New York Times wird mit jedem Wochentag schwerer, wobei das Montags-Rätsel das einfachste ist und das am Samstag für Leute, die mit ihrem Geist Löffel verbiegen können. Für mein erstes Montags-Rätsel brauchte ich mehrere Tage. Ich trug es anschließend im Portemonnaie mit mir herum, darauf hoffend, jemand auf der Straße würde mich ansprechen und es sehen wollen. »Nicht möglich!« hörte ich den Betreffenden sagen, »Sie wollen mir weismachen, Sie seien gerade mal vierzig und hätten das Rätsel ganz alleine gelöst? Mann, ich glaub's einfach nicht!«
    Zwei weitere Jahre vergingen, bis ich mich auf das Level von Dienstag hochgearbeitet hatte,

Weitere Kostenlose Bücher